Analyse Lawinenunfall Hinterer Kitzkogel im hinteren Passeiertal und Vorschau auf die nächsten Tage

Vier Skibergsteiger befinden sich im Aufstieg auf den knapp über 3000 m hohen hinteren Kitzkogel als sich kurz unterhalb des Grates auf 3000 m eine trockene Schneebrettlawine löst. Es handelt sich dabei um eine mittlere Lawine (Größe 2), der Anbruch ist ca 30 m breit und die Lawine ist etwa 150 m lang. Anrisshöhe 50 – 100 cm, Hangexposition West, Hangneigung im Anrissgebiet meist zwischen 45° und 50°.

Der rote Kreis zeigt den Unfallort. Er befindet sich an der Grenze zu Nordtirol, nordöstlich des Timmelsjoches. Quelle: Geobrowser

Unfalllawine mit Anbruch im extrem steilen Westhang. (Foto: 20.12.2020, Lawinenwarndienst Südtirol)

Alle vier Wintersportler wurden von der Lawine mitgerissen, blieben aber an der Oberfläche und konnten sich selbst befreien. Sie blieben unverletzt und konnten ins Tal abfahren.
Bei der Analyse dieses Lawinenunfalls gilt es die Geländeeigenschaften zu beachten. Es handelt sich hier um ein kleines Tal, das Richtung Westen ausgerichtet ist und nach Süden hin geschützt ist. Damit bleibt hier Schnee aus dem Frühwinter leichter liegen. Das bestätigt auch eine Karte aus Google Earth aus dem Oktober 2017:
Der rote Kreis kennzeichnet den Westhang, wo die Lawine angebrochen ist. Gut ersichtlich, dass hier Schnee leichter liegen bleibt. (Quelle: Google Earth)

Die Schneedeckenuntersuchungen zeigen, dass das Schneebrett auf einer Schicht aus kantig abgerundeten Kristallen abgegangen ist. Diese konnte sich nur dort bilden, wo vor den extremen Schneefällen von Anfang Dezember schon Schnee gelegen ist. Die Bildung von kantig aufgebauten Kristallen wird gerade bei wenig Schnee begünstigt, weil dann in der Schneedecke große Temperaturunterschiede herrschen. Besonders in Kammnähe und im Hochgebirge kommt es also zu dieser aufbauenden Umwandlung der Schneekristalle, weil dort durch den Wind viel Schnee abgeblasen wird und die verbleibende, oft wenig mächtige Schneedecke bei tiefen Lufttemperaturen große Temperaturunterschiede aufweist.
Wird diese Schneedecke dann eingeschneit oder kommt Triebschnee auf dieser Schicht zu liegen, kann das eine gefährliche Falle darstellen. Gerade jetzt, wo allgemein zwar günstige Verhältnisse herrschen muss man dies in steilen Schattenhängen im Hochgebirge und besonders in Kammnähe bedenken. Eine Lawine auszulösen ist aber schwierig, da die Schwachschicht, wie im folgenden Profil ersichtlich von einem sehr kompakten Schneebrett überlagert ist. Das heißt eine Lawinenauslösung ist vor allem an Übergängen von wenig zu viel Schnee möglich.
Schneeprofil der Unfalllawine. Der rote Pfeil kennzeichnet die Schwachschicht an der die Lawine gebrochen ist. Die obersten 25 cm der Schneedecke sind pulvrig und von Oberflächenreif bedeckt, die Basis ist schlecht und besteht aus kantig abgerundeten Kristallen und Schwimmschnee. Mit dem „Erweiterte Säulen Test“ (Extended Column Test = ECT) konnte kein Bruch in der Schneedecke erzeugt werden, das ist aber auch nicht verwunderlich, da die Schwachschicht an der Stelle des Schneeprofils tief in der Schneedecke verborgen ist.

Profilstandort. An der glitzernden Schneeoberfläche erkennt man Oberflächenreif. Außerdem sieht man im Bild deutlich, dass die Altschneeoberfläche an herausschauenden Steinen näher an der Oberfläche ist und dort somit eine Lawinenauslösung leichter erfolgen kann. (Foto: 20.12.2020, Lawinenwarndienst Südtirol)

Lawinensturzbahn vom höchsten Punkt aus fotografiert. In Bildmitte erkennt man den sogenannten Stauchwall, wo das abgleitende Schneebrett auf die nicht abrutschende Schneedecke aufgleitet und sich in der Folge ablagert. (Foto: 20.12.2020, Lawinenwarndienst Südtirol)

Vorschau auf die nächsten Tage

Die aktuellen Neuschneeprognosen zeigen in den nächsten 72 h vor allem am Alpenhauptkamm etwas Neuschnee. Für die aktuellsten Neuschneemengen klicke hier! 

Mit den Schneefällen und dem Wind muss man in den nächsten Tagen v.a. den frischen Triebschnee oberhalb der Waldgrenze beachten. Dieser lagert teilweise auf einer ungünstigen Altschneeoberfläche aus lockeren Kristallen oder Oberflächenreif und ist damit störungsanfällig. Außerdem gehen die Temperaturen markant zurück, damit kann man von sprödem Triebschnee ausgehen. Die Details gibt es wie immer im Lawinenreport.
Mehr Schnee fällt dann zu Beginn der neuen Woche. Am Montag bringt ein Mittelmeertief mit einer südlichen Anströmung wieder viel Neuschnee. Am stärksten betroffen sind die typischen Südstaugebiete wie das Ulten- und Passeiertal und die Dolomiten an der Grenze zum Trentino und Belluno. Dort sind durchaus 50 cm Neuschnee möglich, gebietsweise auch mehr. Dementsprechend muss man mit einem deutlichen Anstieg der Lawinengefahr rechnen.
24 h Summen des Europäischen Wettermodells für Montag 28.12.2020 

Akkumulierte Neuschneesumme mit Setzung und ohne Schmelze für die Ortlergruppe.

Rückblick: Dezember 2019
Vor einem Jahr, im Dezember 2019 erlebten wir in Südtirol eine Reihe von Lawinenunfällen bei denen es fünf Todesopfer zu beklagen gab. Siehe dazu die Blogeinträge:

Unfallanalyse Tuferspitze / Ulten (14.12.2019) und Hundskopf / Seiser Alm (15.12.2019)

Lawinenunfälle Ende Dezember

Während Wintersportler im freien, ungesicherten alpinen Gelände sich meist der Lawinengefahr bewusst sind, gehen Skifahrer und Snowboarder auf Pisten und in deren unmittelbarer Nähe davon aus in Sicherheit zu sein. In besonderen Situationen können Lawinen aber durchaus auch in Pistennähe oder auf Pisten abgehen, so wie etwa am 24.12.2019 bei einem tödlichen Lawinenunfall im Skigebiet in Sulden oder beim Unfall im Skigebiet in Schnals (28.12.2019) mit drei Todesopfern.
Zum Schluss möchten wir noch allen Lesern Frohe Weihnachten wünschen, bleibt gesund!
Scheibenberg, Spiluck oberhalb Vahrn bei Brixen. (Foto: 10.01.2016, Lawinenwarndienst Südtirol)