Das schwer einschätzbare Altschneeproblem

Seit dem letzten Blogeintrag hat sich lawinentechnisch eigentlich nicht viel getan. Die Situation ist nach wie vor zwar nicht besonders kritisch – es herrscht Großteils mäßige Lawinengefahr der Stufe 2. Besonders für Wintersportler:innen ist die Situation allerdings nicht immer leicht einzuschätzen – typisch Altschneeproblem.

Ein typischer Schneedeckenaufbau für Schattenhänge sieht zurzeit folgendermaßen aus: Ganz am Boden findet man eine mehr oder weniger mächtige Schicht an Becherkristallen (schlechte Basis). Darüber wird die Schneedecke kompakter und besteht aus recht ähnlichen Schichten. Teilweise ist auch noch eine Kruste eingelagert, die sich vielerorts aber schon zu „zersetzen“ beginnt. Die Oberfläche ist vor allem in windgeschützten Gebieten noch recht weich – zum Teil aufgrund von frischem Neuschnee, zum Teil aufgrund kantig aufgebauter Kristalle. Dort, wo der Wind drinnen war, ist die Oberfläche teils hart, oft aber nicht tragfähig.

In Schöneben konnte die Forststation Graun im Vinschgau am 11.02.2025 eine für die jetzige Situation typische Schneedecke ausfindig machen: Schwache Basis mit Becherkristallen unter einem kompakten Schneebrett. In dieser schwachen Basis konnte bereits beim vierten Schlag aus dem Handgelenk ein Bruch ausgelöst werden, der sich in der Folge auch fortpflanzte.

Das Waschküchenwetter der letzten Tage hat dafür gesorgt, dass die Schneedecke vor allem in mittleren, teilweise auch hohen Lagen angefeuchtet wurde. Weiter oben gab es etwas Neuschnee.

Waschküchenwetter auf der Seiser Alm. (Foto: fotowebcam.eu, 12.02.2025)

Überall dort, wo also über der schwachen Basis ein kompaktes Schneebrett lagert, hätten wir also genau die Zutaten für Schneebrettlawinen. De facto brechen Stabilitätstests, wie beispielsweise der ECT (Extended Column Test) teilweise sogar schon beim Anschneiden – Lawinenrückmeldungen gibt es allerdings nur wenige.

Warum ist das so?

Ob es nun das Schneebrett ist, das teilweise nicht mehr ganz so gut Brüche in der Schneedecke fortpflanzen kann, ob die Schwachschicht zu tief eingeschneit ist, oder ob aufgrund einer geringmächtigen Schneedecke einfach die Oberflächenrauigkeit zu hoch ist, als dass eine weitläufige Bruchfortpflanzung stattfinden könnte, kann man nicht so allgemein sagen. Fest steht aber, dass die aktuelle Altschneesituation nicht immer einfach einzuschätzen ist: Die Wahrscheinlichkeit eine Lawine auszulösen, oder sogar fernauszulösen (erst gestern, 11. Februar gab es im Münstertaler Grenzgebiet z.B. eine Fernauslösung mit drei Lawinen; siehe nachfolgendes Bild), ist zwar recht gering, doch wenn man den richtigen Punkt trifft, wo eine Lawine ausgelöst werden kann, können Lawinen auch mittlere Größe erreichen – und sind somit auf jeden Fall groß genug, um für Wintersportler:innen gefährlich zu werden. Diese Punkte sind eigentlich nicht zu erkennen, wer auf Nummer sicher gehen will muss zurückhaltend unterwegs sein und v.a. selten befahrenes Gelände meiden. Denn zur Zeit haben wir es lawinentechnisch einfach mit einer „Low probability – high consequences!“ (Geringe Wahrscheinlichkeit – große Konsequenz!) Situation zu tun.

Gleich drei Lawinen konnten hier im Münstertal (auf der Schweizer Seite – danke dem Schweizer Lawinenwarnteam für die gute Zusammenarbeit) nordwestseitig zwischen Piz Minschuns und Piz Sielva fernausgelöst werden. (Foto: Mirjam Marty, 11.02.2025)

Die Lawinensituation wird sich auch in den kommenden Tagen nur wenig ändern. Laut aktuellen Prognosen kann man sich zwar am Freitag gebietsweise sogar über ganze 10 cm Neuschnee freuen, doch relevant für eine maßgebende Änderung der Lawinensituation wird der wenige Neuschnee vermutlich nicht.

Akkumulierte Neuschneesumme der nächsten Tage für die Jakobsspitzegruppe: Recht viel mehr wie 10 cm werden es am Freitag vermutlich nicht. (Quelle: Geosphere Austria)