Frischer Triebschnee ist störanfällig, die älteren Triebschneepakete stabilisieren sich – Unfallanalysen

Aktuelle Situation

Über das Wochenende, genauer gesagt von Freitagabend, 05.01. bis Sonntagabend, 07.01. fielen auf unseren Bergen bis zu 50 cm Neuschnee, wobei der südöstliche Teil des Landes am stärksten betroffen war. Während des Niederschlagsereignisses drehte der Wind von Süd über Südost auf Nordost und es setzte Nordföhn ein, der sich vor allem in tiefen Lagen bemerkbar machte.

Der Neuschnee wurde vom starken Wind verfrachtet, wodurch störanfällige Triebschneepakete entstanden. Durch den Föhn konnten sich auch im Waldgrenzbereich Triebschneeansammlungen bilden. Wie so oft bei Neuschneeereignissen, konnte man vor allem in extrem steilen Sonnenhängen das Abgehen von spontanen Lockerschneelawinen beobachten. Am Sonntag, 07.01. wurde die Gefahrenstufe 3 – erheblich erreicht.

Wie entwickelt sich die Lawinensituation weiter?

Die schon etwas älteren Triebschneeansammlungen haben sich teilweise schon recht gut mit der darunter liegenden Schneedecke verbunden. Mit dem auffrischenden Nordwind bilden sich aber neue Triebschneeansammlungen, die störungsanfällig sind, da sie teilweise auf frischem Oberflächenreif abgelagert werden. Lawinen können damit weiterhin von einem einzelnen Wintersportler:in ausgelöst werden.

Niederschlagssummen von Freitag 05.01.2024 bis Mittwoch 10.01.2024 in mm.

Analyse des Lawinenunfalls “Peitlerkofel, Nordrinne” – Sankt Martin in Thurn, 02.01.2024

Zwei Alpinisten stiegen mit Steigeisen und Pickel die Nordrinne des Peitlerkofels in der Gemeinde Sankt Martin in Thurn empor, als sich ungefähr 100 Meter unterhalb der Scharte eine kleine Schneebrettlawine löste und einen der beiden Alpinisten über die gesamte Rinne mit sich riss. Der zweite Bergsteiger befand sich am Rand der Rinne und blieb somit verschont und konnte seinen verunglückten Seilpartner schon bald hinter einem Felsblock ausfindig machen. Der Verunglückte wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.

Der Lawinenwarndienst hat keine Schneedeckenuntersuchung am Unfallort durchgeführt. Nach Angaben der Finanzwache von Bruneck handelte es sich um eine trockene Schneebrettlawine der Größe 1, klein. Das Anbruchgebiet auf etwa 2670 m ist in etwa 40° steil und nach Norden ausgerichtet.

Das Lawinenproblem dieses Lawinenereignisses war Triebschnee. Die Daten der nächstliegenden Station am Kreuzkofeljoch (2297 m) zeigen, dass zwei Tage vor dem Unfall in etwa 25 cm Neuschnee gefallen sind; mäßiger Westwind konnte den frischen Schnee verfrachten und so störanfällige Triebschneepakete bilden.

Windgeschwindigkeit und -richtung am Kreuzkofeljoch, 2297 m.

Analyse des Lawinenunfalls „Stalleralm“ – Ratschings, 07.01.2024

Zwei junge Skifahrer waren im Skigebiet Ratschings abseits der Piste unterwegs, als sie plötzlich von einer Lawine mitgerissen wurden. Ein weiterer Skifahrer, der das Ereignis beobachtet hatte, setzte sofort den Notruf ab. Die beiden Skifahrer wurden von der Lawine teilverschüttet, einer der beiden sogar mit dem Kopf unter dem Schnee. Beide Skifahrer konnten aus den Schneemassen befreit und gerettet werden.

Es handelte sich hier um eine trockene Schneebrettlawine der Größe 1, klein. Das Anbruchgebiet auf ca. 2030 m ist nordexponiert und ist zwischen 30° und 35° steil.

Typisch für einen Lawinenabgang im Triebschnee sind stark unterschiedlichen Anbruchhöhen entlang der Anbruchkante. Im Foto erkennt man die maximale Anbruchhöhe dieser Lawine von 140 cm. (Foto: Bergrettung Ridnaun/Ratschings, 07.01.2024)
Triebschneebrett, das sich beim erweiterten Säulentest (ECT) gelöst hat: Der Bruch wurde in der Schwachschicht oberhalb der Schmelzharschkruste initiiert und konnte sich auch fortpflanzen (siehe Schneeprofil weiter unten). (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 08.01.2024)

Der Lawinenwarndienst hat einen Tag nach dem Unfall eine Schneedeckenuntersuchung vor Ort durchgeführt. Es handelte sich bei dieser Lawine um ein Triebschneeproblem: im oberen Bereich der Schneedecke findet man frischen Triebschnee, der auf einer markanten Schwachschicht aus Becherkristallen und kantig abgerundeten Kristallen über einer Schmelzharschkruste liegt. Die Ergebnisse der durchgeführten ECTs deuten darauf hin, dass der Bruch, der die Schneebrettlawine ausgelöst hat, in dieser Schwachschicht entstanden ist.

Schneeprofil, das einen Tag nach dem Unfall in der Nähe des Anbruches erstellt wurde. Im oberen Teil der Schneedecke erkennt man eine Abfolge von Triebschneepaketen und störanfälligen Schwachschichten. Der Bruch der Unfalllawine erfolgte in der Schwachschicht oberhalb der Schmelzharschkruste.
Windgeschwindigkeit und Windrichtung, die auf der Wetterstation Jaufenkamm auf 2145 m gemessen wurde. Man erkennt, dass mit der Drehung der Windrichtungen auf Nord-Ost auch die Windgeschwindigkeit angestiegen ist und sich somit Triebschneepakete bilden konnten.