Mit dem kommenden Niederschlag steigt die Lawinengefahr an – Analyse der Unfälle von Samstag, 16.12.2023

Vorschau für die nächsten Tage

72-Stunden Neuschneesumme: Entlang des Alpenhauptkamms wird bis zu einem Meter Neuschnee erwartet. Im Süden fällt wenig Schnee.

Eine Nordwestströmung bringt vor allem entlang des Alpenhauptkamms nicht nur ergiebigen Schneefall, sondern auch starken Wind. In den Bergen weht der Wind teils orkanartig. Die Schneefallgrenze liegt meist in mittleren Höhenlagen.

Diese meteorologischen Bedingungen führen zur Bildung von weitläufigen und mächtigen Triebschneeansammlungen, vor allem oberhalb der Waldgrenze. Es muss mit spontanen, teils großen Lawinen gerechnet werden. Somit sind lokal auch exponierte Infrastrukturen von der Lawinengefahr betroffen.

Von steilen Wiesenhängen sind vermehrt Gleitschneelawinen möglich.

Im Süden fällt weniger Schnee. Potentielle Gefahrenstellen sind somit weniger häufig und die Lawinen kleiner. Dennoch steigt die Lawinengefahr auch hier an.

Analyse der Unfalllawine „Schafkammspitz“ – Pflersch, 16.12.2023

Zwei Skitourengeher wurden beim Aufstieg unterhalb der „Schafkammspitz“ im Pflerscher Tal von einer Schneebrettlawine mitgerissen. Einer der beiden wurde von der Lawine teilverschüttet (sein Kopf wurde jedoch unter den Schneemassen begraben). Der andere hingegen kam unverletzt an der Oberfläche zu liegen. Nachdem der unverletzte Skitourengeher den Notruf abgesetzt hatte, gelang es ihm den Verschütteten zu lokalisieren und zu befreien. Trotz des schnellen Eintreffens der Bergrettung konnte das Leben des Skitourengehers nicht gerettet werden.

Es handelte sich bei dieser Lawine um eine trockene Schneebrettlawine mittlerer Größe (Größe 2). Die Lawine riss in etwa auf 2550 m an einem süd-ost exponierten Hang an. Im Anrissgebiet beträgt die Hangneigung um 35°.

Ungefährer Umriss der Lawine. Es handelt sich um eine mittlere Lawine (Größe 2). (Foto: Lawinenwarndienst, 18.12.2023)

Der Lawinenwarndienst hat zwei Tage nach dem Unfall eine Schneedeckenuntersuchung durchgeführt: Im oberen Bereich der Schneedecke erkennt man das Triebschneebrett, das sich in den Tagen zuvor gebildet hatte und auf einer Schwachschicht aus kantigen Kristallen über einer Schmelzkruste liegt. Die Ergebnisse der durchgeführten Stabilitätstests (ECT) deuten darauf hin, dass der Bruch, der die Schneebrettlawine ausgelöst hat, wahrscheinlich genau in dieser Schwachschicht entstanden ist.

Im oberen Bereich der Schneedecke erkennt man das Triebschneebrett und die Schwachschicht über der Schmelzkruste. Die Schmelzkruste und die Schmelzformen an der Schneeoberfläche haben sich erst in den Tagen nach dem Lawinenunfall (milde Temperaturen in der Höhe) gebildet.

Das Triebschneeproblem war das Hauptproblem dieses Lawinenunfalles: Die Daten der Wetterstation am Wilden Freiger (3399 m) zeigen, dass in den Tagen zuvor der Wind stark bis stürmisch aus Nordwest geweht hatte. Somit konnte der Wind den Schnee der letzten Niederschlagsereignisse verfrachten und an den südostexponierten Hängen ablagern.

Windgeschwindigkeit und -richtung der letzten Tage, gemessen auf der Wetterstation am Wilden Freiger (3399 m).

Unfallanalyse der Lawine „Piz Russenna– Graun im Vinschgau, 16.12.2023

Eine Gruppe von fünf Skitourengehern befanden sich im Aufstieg Richtung „Piz Russenna“ in Graun im Vinschgau, als zwei von ihnen von einer Lawine mitgerissen wurden. Sie steckten bis zu den Knien fest, wurden aber sofort von ihren Kammeraden befreit. Ein unbeteiligter Skifahrer hat vom Gegenhang (Zwölfer Piste) den Vorgang bemerkt und sofort den Notruf abgesetzt. Nachdem die betroffenen Skitourengeher nichts von dem Notruf wussten, waren sie bereits Richtung Tal abgefahren, als die Bergrettung mit dem Helikopter an den Unfallort geflogen wurde.

Der Rettungseinsatz wurde somit annulliert. Wir möchten hier nochmals betonen, wie wichtig es ist, Lawinenunfälle zu melden und den Gesundheitszustand der betroffenen Personen der Notrufzentrale mitzuteilen. Somit können unnötige Rettungseinsätze wie dieser, vermieden werden.

Blick vom Hubschrauber auf die Unfalllawine. (Foto: Pelikan 3, 16.12.2023)

Auch hier handelte es sich um eine mittlere trockene Schneebrettlawine, Größe 2. Das Anrissgebiet liegt auf ca. 2550 m auf einem Südost exponierten Hang. Im Anrissgebiet hat der Hang eine Neigung von 35° bis 40°.

Für diesen Lawinenunfall hat der Lawinenwarndienst keine Schneedeckenuntersuchung durchgeführt. Wie auch für den obigen Unfall war hier Triebschnee das Problem: Die Daten der Wetterstation am Elferspitz (2926 m) zeigen, dass der Wind in den Tagen zuvor stark aus Nordwest geweht hat.

Windgeschwindigkeit und -richtung der letzten Tage, gemessen auf der Wetterstation Elferspitz (2926 m).