Unfallanalyse Tuferspitze / Ulten (14.12.2019) und Hundskopf / Seiser Alm (15.12.2019)

Am vergangenen Wochenende sind in Südtirol zwei Lawinenunfälle gemeldet worden. Wir haben uns die Unfälle angeschaut und analysiert.

Unfall Tuferspitze (3097 m) am 14.12.2019, ca. 13:10 Uhr

Drei Skibergsteiger befinden sich in der Abfahrt als sich kurz unterhalb des Flimjochs auf etwa 2870 m eine trockene Schneebrettlawine löst. Es handelt sich dabei um eine große Lawine (Größe 3), der Anbruch ist bis zu 150 m breit und die Lawine ist knappe 500 m lang. Anrisshöhe 30 – 200 cm, Hangexposition hauptsächlich Südost, Hangneigung im Anrissgebiet meist um 40°, teilweise auch über 45°.

Rote Ellipse markiert das Flimjoch im Ultental. Quelle: http://gis2.provinz.bz.it/geobrowser/

Unfalllawine unterhalb des Flimjochs. Oben rechts vermutete Einfahrt in den Hang, Kreis in Bildmitte kennzeichnet den ungefähren Auffindungspunkt des Verschütteten. (Foto: 15.12.2019)

Alle drei Tourengeher werden von der Lawine mitgerissen, zwei können sich selbst befreien, die dritte Person kann nach ca. einer Stunde von der Bergrettung Ulten unverletzt geborgen werden. Der Kopf dieser Person war nur wenige Zentimeter verschüttet, die Atemwege waren frei und es gab eine Verbindung nach Außen, wodurch er atmen konnte.

Entscheidend für diesen Unfall waren der stürmische NW-Wind in den Tagen zuvor und eine ungünstige Altschneedecke, die sich speziell in Kammnähe ausgebildet hatte. Durch den Wind entstand in allen Hangexpositionen Triebschnee, der zum Teil so hart war, dass er eine trügerische Sicherheit vortäuscht. Im Randbereich dieser Triebschneeansammlungen, also dort wo das Triebschneepaket am dünnsten ist, können mögliche Schwachschichten darunter aber durch geringe Zusatzbelastung ausgelöst werden.

Windgeschwindigkeit, Windböe und Windrichtung an der Station Weissbrunnspitz (3253 m) im hinteren Ultental.

Anflug des Pelikan 2 zur Unfalllawine. Auf der Lawine ist die Bergrettung am
Verschüttungspunkt zu sehen. In Kammnähe sind die starken
Schneeverfrachtungen deutlich zu erkennen. (Foto 14.12.2019)

Wir haben an der Anrisskante eine Schneedeckenuntersuchung durchgeführt, es folgen mehrere Bilder der Anrisskante und das dazugehörige Schneeprofil.

Maximaler Anriss (ca. 2 m) orografisch rechts, am Tag nach dem Unfall aber schon wieder deutlich mit Triebschnee gefüllt. (Foto 15.12.2019)

Bild der zentralen Anrisskante in Bildmitte und im Hintergrund des orografisch linken Anrisses. Deutlich erkennbar wie der Anriss wieder mit Triebschnee aufgefüllt wurde, außerdem sieht man auch, dass die Lawine aufgrund der schwachen Basis teils bis zum Boden durchgebrochen ist.

Schneeprofil an der zentralen Anrisskante. Eine Schwachschicht oberhalb einer Kruste war von einem sehr kompakten Schneebrett überlagert, auch die Basis war vor allem in Kammnähe schwach und bestand aus Schwimmschnee. Beim 12. Schlag konnte ein Bruch mit Fortpflanzung initiiert werden.

Wie man im Schneeprofil erkennt lagert das sehr harte Schneebrett auf deutlich weicheren und kantig aufgebauten Schneeschichten. Allgemein liegt auf Südtirols Bergen aktuell ja viel Schnee, aber speziell an exponierten Geländestellen (Grate, Gipfel, in Kammnähe) liegt meist weniger Schnee und nach einer längeren Zeit mit klaren Nächten kommt es hier vermehrt zur aufbauenden Umwandlung der Schneedecke, dessen Endprodukt große, kantige Kristalle sind ohne Bindung. Werden diese Schneeschichten dann z.B. durch Triebschnee bedeckt hat man ideale Voraussetzungen für eine Schneebrettlawine.

Mächtige Lawinenablagerung. (15.12.2019)

Unfall Rosszähne, Hundskopf am 15.12.2019, ca. 12:35 Uhr

Eine Skitourengeherin und eine Schneeschuhwanderin befinden sich in der Abfahrt bzw. im Abstieg vom Hundskopf, etwas nördlich der Rosszähnscharte auf der Seiser Alm. Dabei löst sich im über 40° steilen, nordexponierten Gelände eine trockene Schneebrettlawine (Größe 2), von der die Schneeschuhwanderin mitgerissen wird. Die Lawine löst sich auf ca. 2350 m, der tiefste Punkt der Ablagerung liegt auf etwa 2230 m. Die gemessene Anrisshöhe liegt zw. 20 und 120 cm, die Anrissbreite ist im obersten Bereich ca. 10 m, etwas darunter wird der Lawinenanriss noch breiter.

Ellipse markiert den Lawinenunfallort auf der Seiser Alm. Quelle: http://gis2.provinz.bz.it/geobrowser/

 

Unfalllawine am Hundskopf. Rote Linie vermutete Einstiegsspur, der rote Kreis kennzeichnet den Verschüttungspunkt. (Foto 16.12.2019)

Laut unseren Informationen kann die verschüttete Person nach 15 bis 20 min geborgen werden, die Wiederbelebungsversuche bleiben aber erfolglos.
Auch bei dieser Lawine handelt es sich um ein Triebschneeproblem. Wie beim Lawinenunfall in Ulten war das Triebschneepaket sehr hart, es lagerte aber auf einer Schwachschicht aus kantig aufgebautem Schnee.

Schneeprofil an der Anrisskante aufgenommen. In der Schwachschicht aus kantigen Kristallen konnte beim Stabilitätstest beim 25. Schlag ein Bruch mit Fortpflanzung initiiert werden.
Schneedeckenuntersuchungen an der Anrisskante am Hundskopf. (Foto 16.12.2019)

An dieser Stelle möchten wir uns bei der Berg- und Flugrettung sowie bei den Carabinieri für die gute Zusammenarbeit bedanken.