Über die Lawinengefahr in Eiswänden – Kurzer Blick auf die aktuelle Situation

Als Lawinenwarner:innen denken wir beim Begriff „Eiswand“ sofort auf Exposition, Steilheit, wenig Sonnenstrahlung, Kälte, Gletschereis, Schnee, Wind und natürlich auch an mögliche Lawinen.

Charakteristisch für Eiswände ist deren Exposition Richtung Norden und sehr steiles, vergletschertes Gelände. Die restlichen oben genannten Begriffe hängen direkt mit den Verhältnissen in einer Eiswand zusammen.

Eiswände sind immer auch Absturzgelände, dementsprechend muss man sich gut und sicher in diesem Gelände bewegen können, um das Absturzrisiko möglichst klein zu halten. Typische Jahreszeiten für das Klettern von Eiswänden sind mittlerweile der Herbst und Frühwinter (also genau jetzt) bzw. der Frühling und Frühsommer. In den Monaten vor dem Winter sind diese Eiswände zumindest im unteren Teil meist schneefrei und man bewegt sich auf Blankeis. In höheren Lagen oder speziell, wenn es schon Richtung Winter geht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Eis von Schnee bedeckt ist. Idealerweise trifft man auf Firn (laut Definition Schnee, der den Sommer überstanden hat und noch nicht in Gletschereis umgewandelt wurde, nicht zu verwechseln mit dem Firn der Skitourengeher!). Im Firn ist das Klettern einfacher da Stufen hineingetreten werden können (Trittfirn).

Mit Schneefällen können sich die Bedingungen in einer Eiswand aber schnell ändern. Wenig Neuschnee kann im einfachsten Fall kaum stören bzw. einfach nur etwas lästig sein, fällt etwas mehr Schnee in Kombination mit Wind, können sich zwar meist nur kleine, aber in Kombination mit tiefen Temperaturen spröde und störungsanfällige Triebschneepakete bilden.
Bereits das Auslösen einer kleinen Lawine hat in diesem Gelände allerdings fatale Folgen: Die Verschüttungsgefahr mag teilweise zwar vernachlässigbar sein, die Lebensgefahr geht dafür vor allem von der Absturzgefahr aus.
Zwei Lawinenunfälle haben dies im Oktober 2016 (Hochferner Nordwand, Pfitschertal, vier Todesopfer) und im November 2024 (Vertainspitze Nordwand, Sulden, ein Todesopfer) leider bewiesen.
Bei etwas mehr Neuschnee sind auch Lockerschneelawinen möglich, die Bergsteiger:innen mitreißen können.

In Bildmitte die Hochferner Nordwand wenige Tage nach dem Unfall. Nur im geschützten Gelände in der Höhe liegt Neuschnee. (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 28.10.2016)
Blick auf den unteren Teil der Vertainspitze Nordwand am Tag des tödlichen Lawinenunfalls. Es liegt insgesamt wenig Schnee, der untere Teil der Eiswand ist so gut wie aper und besteht aus Blankeis. Den Eindruck von Lawinengefahr erweckt dieses Bild im ersten Moment meist nicht. (Foto: Stefan Haller, 23.11.2024)

Weiters gilt es in diesem Gelände zu bedenken, dass sich der gefallene Neuschnee bei Hochdruckwetter (klare Tage und Nächte) allmählich aufbauend umwandelt (der Schnee gibt Wärme an seiner Oberfläche über infrarote Wärmestrahlung ab und kühlt somit an seiner Oberfläche stark aus, während er nahe am Eis relativ warm bleibt; es entwickeln sich Temperaturunterschiede in der Schneedecke, die die sogenannte aufbauende Schneemetamorphose begünstigen). Damit wird die Schneedecke immer lockerer, das Aufsteigen kann zu einem einzigen Gewühle in griesartigem Pulverschnee werden. Das gute daran? Die Gefahr von Schneebrettlawinen geht zurück, da die sogenannten Bretteigenschaften für eine Schneebrettlawine schlechter werden.

Das kann sich jedoch schnell wieder ändern. Aufkommender Wind bzw. die Ablagerung von Neuschnee auf diese kantig aufgebaute Schneeoberfläche kann die Lawinensituation rasch verschärfen: Der Wind verfrachtet den lockeren Schnee und bildet Triebschnee (Schneebrett), der sich auf der ungünstigen Schneeoberfläche ablagert (die alte Schneeoberfläche bildet sozusagen die für eine Schneebrettlawine notwendige Schwachschicht). Dasselbe gilt für Neuschnee: Sollte sich auf diese kantig aufgebaute Altschneeoberfläche Neuschnee ablagern, sind die Bedingungen für Schneebrettlawinen v.a. in Kombination mit Wind schnell wieder gegeben.

Im roten Kreis kann man zwei Lawinenanbrüche erkennen. Möglicherweise sind das die Lawinen, die zum Absturz der Bergsteiger in der Hochferner Nordwand geführt haben. Da ein Lokalaugenschein aufgrund von schlechtem Wetter erst ein paar Tage nach dem Unfall durchgeführt werden konnte, kann man dies jedoch nur vermuten. Es handelt sich um eine kleine Lawinen mit geringer Anbruchmächtigkeit. In diesem Gelände sind die Konsequenzen einer Lawine aber immer sehr gefährlich und mitunter tödlich. (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 28.10.2016).

Abschließend gilt es zu sagen, dass bereits wenig Neuschnee die Bedingungen in Eiswänden aus lawinentechnischer Sicht deutlich verschlechtern können. Dementsprechend gilt es bei der Planung solcher Touren immer auch die Lawinengefahr mitzubedenken und gegebenenfalls die Lawinensicherheitsausrüstung mitzuführen.

Kurz vor dem Unfall entstand dieses Bild. Nur in den Mulden des Gletschers liegt etwas Triebschnee. Sehr wahrscheinlich wurden diese meist kleinen Triebschneeansammlungen den Bergsteigern in der Folge zum Verhängnis und führten zum Absturz, den ein Kletterer leider nicht überlebte. Sonst liegt insgesamt, wie man im Hintergrund erkennen kann auch nur wenig Schnee. (Foto: Stefan Haller, 23.11.2024) 

Der Lawinenwarndienst selbst kann für dieses extreme und insgesamt selten begangene Gelände meist nur wenig Informationen liefern. Dementsprechend gilt es dieses Gelände vor Ort besonders gewissenhaft zu bewerten.

Neuschneeprognose – Anstieg der Lawinengefahr im Hochgebirge

Laut den aktuellen Prognosen fällt auf den Bergen heute verbreitet Neuschnee, meist sind die Mengen jedoch nur gering. Im Hochgebirge des Alpenhauptkammes, besonders in den Zillertaler Alpen und am Ortler sind auch um 30 cm Neuschnee oder mehr möglich.

Aufgrund der meist geringen Neuschneemengen und dem oft aperen Boden, auf den der Schnee fällt, ist die Lawinengefahr nur selten ein Thema. Hochalpin ist in einigen Schattenhängen aber schon eine Altschneedecke vorhanden, dort gilt es die Lawinengefahr zu beachten. Insbesondere gilt es auf den frischen Triebschnee zu achten, der im extrem steilen, kammnahen Gelände in den neuschneereichen Gebieten störungsanfällig ist und aufgrund der heutigen Winddrehung mit Durchzug der Kaltfront von südlichen Richtungen auf Nord dreht und in allen Expositionen vorhanden ist.

Wie schon weiter oben angesprochen hat der Lawinenwarndienst derzeit wenig Informationen aus dem Gelände, weshalb die Lawinengefahr vor Ort besonders gründlich überprüft werden sollte.