Anfang Februar sah es kurzzeitig danach aus, als ob sich der Winter schon bald dem Ende zuneigen könnte: wenig Schnee, günstige Lawinensituation und frühlingshafte Bedingungen. Doch mit dem 8. Februar erreichte uns die erste von vielen Südstaulagen, die immer wieder so einiges an Schnee brachten. An fünf Tagen herrschte sogar Gefahrenstufe 4. Die größte Lawinenaktivität verzeichneten wir in der Zeit während und nach dem letzten intensiven Schneefall am Sonntag, 10. März.
Mittlerweile hat sich die Lawinensituation aber gebessert und wir gehen im ganzen Land von Gefahrenstufe 2 – mäßiger Lawinengefahr aus. Zu unterschätzen ist die Situation aber weiterhin nicht, da wir es besonders vom Ortlergebiet über das Passeiertal zum Brenner und weiter Richtung Osten mit einem sehr schwer einzuschätzenden Altschneeproblem zu tun haben. Lawinen sind in diesen Fällen meist eher schwer auszulösen, im ungünstigen Fall können diese Lawinen aber durchaus groß werden. Auch in den übrigen Landesteilen kann man das Altschneeproblem nicht ausschließen, Zurückhaltung ist angebracht. Der Triebschnee hat sich mittlerweile besonders sonnseitig gesetzt, zu stören ist er aber teilweise weiterhin schattseitig in der Höhe. Lockerschneelawinen sind besonders aus extrem steilem sonnigen Gelände vorübergehend noch möglich. Gleitschneelawinen wurden uns keine mehr gemeldet, ganz vereinzelt sind sie aber durchaus noch denkbar.
Größere Neuschneemengen sind aktuell keine in Sicht, dementsprechend nimmt die Gefahr von trockenen Lawinen langsam ab.
Rückblick
Dazu schauen wir uns am besten den Schneehöhenverlauf am automatischen Schneemessfeld Rossbänke in Ulten an:

„Der Wind ist der Baumeister der Lawinen“, dieser Satz von Wilhelm Paulcke aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts bringt dann die Situation vom vergangenen Sonntag 10. März auf den Punkt. Die Kombination von stürmischem Süd-Südwestwind und v.a. sehr viel Schnee (bis zu 40 cm in den Südstaulagen) in kurzer Zeit, führte zum Höhepunkt der spontanen Lawinenaktivität am Sonntagnachmittag.
Die Agentur für Bevölkerungsschutz führte am Montag 11. März einen Flug durch, um abgegangene Lawinen zu registrieren und den Zustand der Lawinenanbruchverbauungen und Auffangbecken zu kontrollieren. Den Rückmeldungen zu Folge sind in den typischen Südstaulagen viele große (Größe 3) und teils auch sehr große (Größe 4) Lawinen abgegangen. Es folgen ein paar Bilder:





Aktuell muss man bis ins Hochgebirge im steilen sonnenexponierten Gelände mit einer in der Früh teils tragfähigen Schmelzharschkruste rechnen. Tagsüber führen die milden Temperaturen und Sonne zur Aufweichung und Anfeuchtung der Schneedecke. Im schattigen, windberuhigten Gelände findet man noch guten Pulverschnee.
Schneedeckenuntersuchung zu den Lawinenabgängen im Schnalstal
Am Montagnachmittag, 11. März, löste sich kurz unterhalb der grauen Wand eine Lawine (wahrscheinlich von einem Variantenfahrer ausgelöst), die auf dem Weg ins Tal große Schneemassen mit sich riss und die Talabfahrt des Skigebiets Schnals verschüttete. Dabei wurden drei Personen teilverschüttet, zwei konnten sich allerdings selbst befreien, während die dritte Person rasch von einem Skifahrer befreit wurde. Die Rettungskette wurde sofort in Gang gesetzt, um den Lawinenkegel nach weiteren möglichen Verschütteten zu durchsuchen. 140 Einsatzkräfte standen insgesamt im Einsatz. Als sich die Suche dem Ende zuneigte, begannen die ersten Einsatzkräfte über die Skipiste ins Tal abzufahren, als sie von einer spontanen Lawine überrascht wurden: Drei Einsatzkräfte wurden von der Lawine erfasst. Sie konnten allerdings schnell und unverletzt aus den Schneemassen geborgen werden.
Was aber war das Problem in der Schneedecke?
Um diese Frage zu beantworten hat sich der Lawinenwarndienst die Lawine am Dienstag, 12. März, genauer angeschaut. Die Wetterbedingungen – sprich starker Wind mit Schneeverfrachtung, der ein Bestimmen von Schneekristallen schlichtweg unmöglich machte – ließen im Anbruchbereich nur eine eingeschränkte Schneedeckenuntersuchung zu. Auch hatten sich die Bedingungen aufgrund des starken Windes, der wenige Stunden nach dem Lawinenabgang immer stärker zu wehen begonnen hatte und einiges an Schnee verfrachtet hatte, grundlegend geändert. Dennoch scheint uns der folgende Hergang einleuchtend: In einer eingeschneiten Schicht aus Oberflächenreif konnte sich ein Bruch über die gesamte nordwestexponierte Geländekammer (ca. 3150 m Meereshöhe) ausbreiten und eine Lawine auslösen. Durch die große Zusatzbelastung der ins Tal stürzenden Schneemassen wurden auch Schwachschichten tiefer in der Schneedecke gestört und in Folge große Schneemassen mitgerissen. Dadurch erreichte die Lawine von der Ablagerung her durchaus große bis sehr große Dimensionen (Größe 3 bis 4).



Eine vollständige Schneedeckenuntersuchung wurde östlich der Leo Gurschler Skipiste unterhalb des „Ötzibiwaks“ durchgeführt. Der Profilhang auf etwa 2900 m war, ähnlich wie das Anbruchgebiet der Lawine, gegen Nordwesten ausgerichtet.

Im Bereich der Lawine, die die drei Einsatzkräfte verschüttet hatte, konnte aus Sicherheitsgründen keine Schneedeckenuntersuchung stattfinden. Es wird allerdings vermutet, dass sich die Stabilität der Schneedecke aufgrund des immer stärker werdenden Nordwindes zunehmend verschlechtert hatte, bis sich schlussendlich eine spontane Schneebrettlawine mittlerer Größe (Größe 2) lösen und die Einsatzkräfte verschütten konnte.
Analyse der Lawinenunfälle an der „Hinteren Schöntaufspitze“ und am „Hinteren Schöneck“ in Sulden, 11.03.2024
Im Bereich von wenigen Kilometern und zu ähnlicher Uhrzeit gab es am Montag in Sulden zwei Lawinenunfälle: beim ersten Unfall wurde ein Snowboarder abseits der Piste von einer Lawine mitgerissen, beim zweiten eine Gruppe von drei Personen auf Skitour in der Abfahrt.
Lawinenunfall „Hintere Schöntaufspitze“ (3325 m)
Ein Snowboarder fuhr abseits der Piste im Skigebiet Sulden am Ortler ab als er von einer Schneebrettlawine mitgerissen wurde. Die Pistenrettung alarmierte die Bergrettung, diese musste dem Wintersportler aber nicht mehr helfen, da er nur teilweise verschüttet wurde und sich selbst aus den Schneemassen befreien konnte.
Bei dieser Lawine handelt es sich um eine mittlere Lawine (Größe 2), sie ist auf ca. 3250 m in einem südwestexponierten, 40° bis 45° steilen Hang angebrochen.

Der Lawinenwarndienst hat am Tag nach dem Unfall einen Lokalaugenschein mit einer Schneedeckenuntersuchung direkt an der Anbruchkante durchgeführt:

Lawinenunfall „Hinteres Schöneck“ (3128 m)
Eine Skitourengruppe von drei Personen hat das Hintere Schöneck über die Düsseldorfer Hütte bestiegen. In der Abfahrt wurde die Gruppe von einer Schneebrettlawine erfasst und mitgerissen. Sie verständigten die Bergrettung, als diese vor Ort war, waren alle Beteiligten schon aus den Schneemassen befreit und unverletzt.
Bei dieser Lawine handelt es sich um eine große Lawine (Größe 3), sie ist auf ca. 2950 m in einem Westhang angebrochen. Laut Schätzungen der Bergrettung Sulden liegt die Hangneigung im Anbruchgebiet bei ca. 30° bis 35°.
Da dieser Unfall von der Höhe und Exposition dem Unfall an der Schöntaufspitze sehr ähnlich ist, kann man auch davon ausgehen, dass sich der Schneedeckenaufbau gleicht.
