Nasse Lawinen – stellenweise weiterhin Schwachschichten im Altschnee

März ist der Monat, der auf den Bergen, den Übergang von Winter in den Frühling kennzeichnet, mit all seinen Ausnahmen, die dieser Monat jede Saison bereithält. Selten variiert die Schneedecke zeitlich und räumlich so stark wie im Frühling. Von Pulver bis Firn über Sulzschnee bis hin zu pickel-harter Schneeoberfläche findet man momentan beinahe alles. Im Frühjahr haben bereits kleine Änderungen im Wettergeschehen große Auswirkungen auf die Schneedecke, ihre Stabilität sowie auf das skifahrerische Vergnügen. Bei einer wohldurchdachten Tourenplanung bringt dies aber durchaus seine Vorteile.

Kurzer Rückblick

Am vergangenen Freitag, 17.03.2023 lag die Nullgradgrenze auf über 3000 m, wodurch zahlreiche nasse Lawinen abgingen. Vor allem betroffen waren Ost-, Süd und Westhänge unterhalb von 2600 m. Vereinzelt waren auch steile Südhänge unterhalb von 3000 m betroffen. Wer rechtzeitig unterwegs war, fand in der Abfahrt guten Firn vor.
Nassschneelawine in der Nähe des Riesernocks auf 2.933m Seehöhe mit Blick Richtung Südwest: Links ist der Hochgall,weiter rechts im Bild der Magerstein und der Schnebige Nock. (Quelle: https://www.foto-webcam.eu/webcam/rieserferner/2023/03/17/1540)
Nassschneelawine in der Nähe des Riesernocks auf 2.933 m Seehöhe mit Blick Richtung Südwest: Links ist der Hochgall, weiter rechts im Bild der Magerstein und der Schneebige Nock. (Quelle: https://www.foto-webcam.eu/webcam/rieserferner/2023/03/17/1540)
In der Abfahrt ausgelöste nasse Schneebrettlawine unterhalb der Wetterspitze. (Foto: Robert Alpögger, 18.03.2023)
In der Abfahrt ausgelöste nasse Schneebrettlawine unterhalb der Wetterspitze. (Foto: Robert Alpögger, 18.03.2023)

Mit der Abkühlung und der verringerten Einstrahlung am Sonntag, dem 19.03.2023, lies die Nassschneeaktivität vorübergehend nach. Bereits zu Beginn dieser Woche stiegen die Temperaturen wieder an und die Schneedecke wurde angefeuchtet bzw. zum Teil auch vollständig durchnässt. Ab Mitte der Woche waren durch die Wetterbedingungen bereits am Vormittag nassen Lawinen möglich. Die Durchfeuchtung ist vor allem an Südhängen schon weit fortgeschritten und reicht bis ins Hochgebirge. An West- und Osthängen liegt sie zwischen 2400 und 2600 m und an Nordhängen meist unterhalb von 2200 bis 2400 m. 
Dass der Frühling bereits auf den Bergen eingekehrt ist, erkennt man deutlich am Temperaturverlauf der Schneeprofile. Wie für den Frühling typisch ist die Schneedecke vielerorts isotherm, d.h. dass die Schneedecke vom Boden bis zur Schneeoberfläche eine Temperatur von 0 °C erreicht hat.
Beinahe isothermer Temperaturverlauf auf ca. 2550 m an einem Nordost exponierten Hang. Die Schneedecke hat nur mehr wenige Kältereserven.
Beinahe isothermer Temperaturverlauf auf ca. 2550 m an einem Nordost exponierten Hang, neben der Unfalllawine vom 17.03.2023. Die Schneedecke hat nur mehr wenige Kältereserven. 

Gebietsweise stand in der vergangenen Woche aber das Altschneeproblem im Vordergrund. Schwachschichten im Altschnee konnten vor allem im Nordwesten des Landes leicht von Wintersportlern ausgelöst werden. Aus diesem Gebiet erhielten wir mehrere Meldungen von ausgelösten Lawinen, Setzungsgeräuschen und Rissen in der Schneedecke.
Das Schneeprofil aus dem Rojental unterhalb der Grionplatten zeigt eine kantig aufgebaute Schicht aus Becherkristallen unterhalb einer dünnen Schmelzkruste. Darüber der abbauend umgewandelte Schnee von den Schneefällen am 13. und 14. März 2023. In dieser Schicht konnte ein Bruch initiiert werden, der sich dann fortpflanzte. Zudem sind auch die bodennahen Schichten stark kantig aufgebaut.
Das Schneeprofil aus dem Rojental unterhalb der Grionplatten zeigt eine kantig aufgebaute Schicht aus Becherkristallen unterhalb einer dünnen Schmelzkruste. Darüber der abbauend umgewandelte Schnee von den Schneefällen am 13. und 14. März 2023. In dieser Schicht konnte ein Bruch initiiert werden, der sich dann fortpflanzte. Zudem sind auch die bodennahen Schichten stark kantig aufgebaut. 

Ausgelöstes Schneebrett nicht weit vom aufgenommenen Schneeprofils unterhalb der Grionplatten im Rojental. (Foto: Martin Hohenegger, 17.03.2023)
Ausgelöstes Schneebrett nicht weit vom aufgenommenen Schneeprofils unterhalb der Grionplatten im Rojental. (Foto: Martin Hohenegger, 17.03.2023)

Am 17.03.2023 kam es auch zu einem Lawinenunfall in diesem Gebiet. 

Lawinenunfall Zwölfer, Rojen – 17.03.2023

Ein Skitourengeher befand sich im Gamperntal im Aufstieg Richtung Zwölferkopf. Auf 2400 m unterhalb eines steilen zum Teil felsdurchsetzten Hanges vernahm der Skitourengeher ein Wummgeräusch und wurde gleich darauf von einem kleinen Schneebrett mitgerissen. Die Person wurde nur teilweise (nicht kritisch) verschüttet. Der Abgang wurde vom sich darunter befindenden Skigebiet aus beobachtet und sofort gemeldet. Daraufhin flog der Rettungshubschrauber Pelikan 3 direkt zur Unfalllawine. Als der Hubschrauber bei der Lawine ankam, hatte sich die Person bereits selbst aus den Schneemassen befreit. Sie war unverletzt und hatte lediglich die Skier verloren. Der Skitourengeher wurde mit dem Pelikan zum Skigebiet geflogen.

Unfalllawine unterhalb des Zwölfer in Rojen. Im Bild erkennt man die Aufstiegsspur des Tourengehers. (Foto: Patrick Franzoni, Pelikan 3, 17.03.2023)
Unfalllawine unterhalb des Zwölfer in Rojen. Im Bild erkennt man die Aufstiegsspur des Tourengehers. (Foto: Patrick Franzoni, Pelikan 3, 17.03.2023)

Der Anrissbereich der Lawine befindet sich auf etwa 2550 m Höhe an einem sehr steilen (>35 °) Nordostexponierten Hang. Wie die Schneedeckenuntersuchung zeigte, lag der Schnee von den Schneefällen am 13.-14.03.2023 auf einer Schmelzkruste. Dazwischen bildete sich durch den Temperaturunterschied eine Schwachschicht aus kantigen Kristallen aus. Bodennah war die Schneedecke stark kantig aufgebaut mit bis zu 5 mm großen Becherkristallen. 

Schicht aus großen Becherkristalle in Bodennähe bei der Unfalllawine. (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 21.03.2023)

Mit diesem Unfall steigt die Anzahl der gemeldeten Lawinenunfälle in Südtirol auf 15. Dabei wurden bisher 23 Personen mitgerissen. Fünf Personen verloren ihr Leben, eine Person wurde verletzt und 17 Personen blieben unverletzt. 

Ausblick auf die kommenden Tage: 

Ab Freitag stellt sich das Wetter um. Es wird trüb und unbeständig mit einigen Regen- und Schneeschauer im ganzen Land. Die Temperaturen gehen zunächst nur leicht zurück, wobei die Luftfeuchtigkeit deutlich zunimmt, weshalb in den kommenden Tagen weiterhin das Nassschneeproblem zu beachten ist. Die Gefahr von trockenen Lawinen geht zwar zunächst etwas zurück, die vorhandenen Schwachschichten, sind aber stellenweise weiterhin störanfällig. In den Gebieten mit mehr Neuschnee steigt die Gefahr von trockenen Lawinen auch etwas an. Größere Niederschlagsmengen sind aber nicht zu erwarten. 
Mit Sonntag erreicht uns dann eine Kaltfront, die für kalte und stürmische Verhältnisse sorgt. Teilweise ist ein Temperaturrückgang von über 10 °C möglich. Am Alpenhauptkamm kann es zudem etwas schneien. Da der Neuschnee unter kalten Bedingungen auf eine warme Schneeoberfläche fällt, kann sich in hohen Lagen und im Hochgebirge Gefahrenmuster 4: kalt auf warm ausbilden. Somit wird die Gefahr von trockenen Lawinen weiter ansteigen. Erfahrungsgemäß kommt es bei solchen Bedingungen immer wieder zu Lawinenunfällen, weshalb man an diesen Tagen mit Vorsicht und Zurückhaltung unterwegs sein sollte. 

 

Prognostizierte Gesamtschneehöhe in Pfitsch auf 2500 m für die kommenden 15 Tage.
Prognostizierte Gesamtschneehöhe in Pfitsch auf 2500 m für die kommenden 15 Tage.