Analyse der Lawinenunfälle am Cirjoch im Val Chedul, Gemeinde Wolkenstein und auf dem Klausberg, Gemeinde Ahrntal vom 10. Jänner 2023

Unfall Cirjoch, Val Chedul, Gemeinde Wolkenstein in Gröden

Vier Skitourengeher befinden sich im Val Chedul im nordseitigen Aufstieg auf das Cirjoch, als die erste Person von einer Lawine mitgerissen und verschüttet wird. Die anderen drei Personen beginnen sofort mit der Kameradenrettung und allarmieren auch die organisierte Rettung. Nach etwa 45-50 min kann die ca. 2.5 m tief verschüttete Person geborgen und danach abtransportiert werden. Leider verstirbt die Person drei Tage danach im Krankenhaus.
Unfalllawine im Val Chedul. Im unteren Teil der Lawinenablagerung ist der Verschüttungspunkt neben einem großen Stein (Geländefalle) zu sehen. Die Lawine ist ca. 200 m lang und im Anbruch max. 20 m breit. Der obere Teil des Hanges ist ca 38° steil, der untere Teil ist zw. 30 und 35°. (Foto: Bergrettung Gröden und Hochabtei, 10.01.2023)

Laut unseren Informationen wurde der Tourengeher im unteren Teil des Hanges von der Lawine erfasst und mitgerissen. Danach sind vom oberen Teil des Hanges weitere Schneemassen nachgerutscht, was zur tiefen Verschüttung geführt hat. Außerdem hat der Stein am Hangfuß die große Verschüttungstiefe begünstigt, man kann von einer klassischen Geländefalle sprechen.
Unsere Schneedeckenuntersuchungen zeigen folgendes Bild:
Profil auf ca. 2340 m, Exposition Nord, orografisch rechts der Lawine etwas oberhalb der Ablagerung aufgenommen. Unterhalb des in den Tagen zuvor gefallenen und als Triebschnee abgelagerten Schnees konnte in einer Schwachschicht direkt oberhalb der tragenden Schmelzharschkruste ein Bruch mit Fortpflanzung initiiert werden, in weiterer Folge brach beim 27. Schlag auch die Basis mit Bruchfortpflanzung. Weitere Profile unter www.lawis.at.
Profil auf ca. 2450 m, Exposition Nord, direkt an der obersten Anbruchkante aufgenommen. Auf einer massiv kantig aufgebauten Altschneedecke (Becherkristalle teilweise über 6 mm groß) hat sich frischer Triebschnee (runde, kleine Kristalle) abgelagert. Drei durchgeführte Stabilitätstest konnten keinen Bruch in der Schneedecke erzeugen. Vermutlich wurde hier die Schwachschicht durch den Lawinenabgang schon geschädigt, sodass kein neuer Bruch mehr initiiert werden konnte.

Bild zum obigen Profil. Ganz klar erkenntlich liegt etwas Triebschnee auf der stark kantig aufgebauten Altschneedecke. (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 11.01.2023)
Große Becherkristalle wie sie in der Basis der Schneedecke gefunden wurden. Solche Kristalle haben wenig Berührungspunkte untereinander und sind somit äußerst locker und weich. In der Schneedecke eingelagert reduzieren sie die Schneedeckenstabilität deutlich. (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 11.01.2023)
Wahrscheinlich hat sich die Lawine (mittlere Lawine, Größe 2) im unteren Teil des Hanges zuerst gelöst. Dabei ist die Lawine unterhalb des frischen Triebschnees angebrochen und in der Folge bis in die schwache Basis durchgebrochen. Aufgrund des flächig vorhandenen ungünstigen Schneedeckenaufbaus (Triebschnee und somit gebundener Schnee an der Oberfläche und schwache Basis) hat sich der Bruch bis in den obersten Teil des Hanges fortgepflanzt. Der höchste Punkt des Anbruchs liegt auf ca. 2450 m.
Man kann hier ganz klar von einem kombinierten Trieb- und Altschneeproblem sprechen. Auf der einen Seite hat der starke, teils stürmische Nordwind den Neuschnee der vorhergehenden Tage (in dieser Gegend max. 20 cm) umfangreich verfrachtet und auf einer teils ungünstigen Altschneedecke abgelagert. Auf der anderen Seite war auch die Basis der Schneedecke in dieser Exposition und Höhe schlecht aufgebaut, das die mittlere Größe der Lawine erst ermöglicht hat.

Bild aus dem mittleren Bereich des Hanges. Man sieht, dass die Lawine bis zur Basis durchgebrochen ist, da die gesamte Schneedecke mitgerissen wurde und der Untergrund zu sehen ist. (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 11.01.2023)
In Bildmitte das Val Chedul mit der eingezeichneten Lawine in rot. Links Wolkenstein, unten rechts das Grödnerjoch.

Unfall unterhalb K2 Bergstation, Klausberg, Ahrntal
Zwei Variantenfahrer verlassen unterhalb der Bergstation des K2 Liftes die gesicherte Piste. Eine Person wird im kammnahen Steilgelände von einer Schneebrettlawine mitgerissen, bleibt jedoch an der Oberfläche und unverletzt.
Blick auf die Unfalllawine. Von rechts queren die Skifahrer in den Windschattenhang, wo sich die Lawine löst (auf ca. 2440 m, west-südwestexponiertes Gelände). (Foto: Künig Franz, 10.01.2023)

Schneehöhenverlauf an der Beobachterstation Klausberg. Mit den Schneefällen in den zwei Tagen vor dem Unfall fielen hier 34 cm Neuschnee, damit liegt die Schneehöhe hier genau im Durchschnitt für die Jahreszeit.

Bei dieser Lawine handelt es sich hauptsächlich um ein Triebschneeproblem. Der teils starke Wind aus nördlichen Richtungen lagert spröden, frischen Triebschnee im Windschattenhang ab, der leicht zu stören ist.
In Bildmitte das Skigebiet Klausberg, in rot die Lawine. Am oberen Bildrand links die Talsohle des Ahrntals.