Frühlingshafte Verhältnisse

Rückblick auf die vergangene Woche

Seit dem letzten Blogeintrag spielte sich so einiges auf der Schneedecke ab. Beginnen wir Ende letzter Woche, als in der Nacht auf Freitag eine Störung verbreitet für Niederschläge sorgte. Die Schneefallgrenze lag zunächst auf über 2000 m, sank während des Ereignisses unter 1500 m ab. Stellenweise fielen auf den Bergen über 20 cm. Da die Niederschläge konvektiv durchsetzt waren, kam es zu großen Unterschieden in der Niederschlagsverteilung. Es folgte eine Kaltfront am Samstagvormittag, die eine markante Abkühlung und teils stürmischen Wind im ganzen Land zur Folge hatte. Die Luft wurde zudem deutlich trockener.

Stürmische Verhältnisse am Wochenende auch im hinteren Martelltal. (Foto: Marcella Ghidoni, 10.04.2022)
Stürmische Verhältnisse am Wochenende auch im hinteren Martelltal Richtung Cevedale. (Foto: Marcella Ghidoni, 10.04.2022)
Niederschlagssummen vom Freitag, 08.04.2022.
Niederschlagssummen vom Freitag, 08.04.2022.

Am Sonntag ließ der Wind in den Tälern nach, auf den Bergen blieb er in der ersten Tageshälfte gebietsweise jedoch noch stark. Am Alpenhauptkamm zum Teil auch stürmisch. Die trockene, kalte Luft sorgte dafür, dass der Schnee an windberuhigten Stellen noch locker blieb. Oftmals fand man jedoch auch eine nicht tragende Schmelzharschkruste oder einen Winddeckel. Unterhalb von 2000 m traf man häufig auf eine feuchte Schneedecke mit einem trockenen, nicht tragenden Deckel.  

Pulver auf einer tragenden Altschneeoberfläche unterhalb vom Maratsch (2652 m) im Pflersch. (Foto: Bergführer Florian Leitner, 10.04.2022)
Pulver auf einer tragenden Altschneeoberfläche unterhalb vom Maratsch (2652 m) im Pflersch. (Foto: Bergführer Florian Leitner, 10.04.2022)

Am Sonntag ereignete sich zudem ein Lawinenunfall am Ortler. Die Anzahl der uns gemeldeten Lawinenunfälle in dieser Wintersaison stieg damit auf drei. Der 20-jährige Durchschnitt liegt bei 15 gemeldeten Lawinenunfällen pro Saison. 

Lawinenunfall Ortlerbiwak – 10.04.2022

Am Sonntagvormittag kam es kurz unterhalb des Ortlerbiwaks auf ca. 3250 m zu einem Lawinenunfall. Zwei aufsteigende Skitourengruppen befanden sich im extrem steilen, kammnahen Gelände als sich eine Schneebrettlawine löste und drei Skitourengeher mitriss. Zwei Personen blieben einige Meter unterhalb des Anbruchgebietes liegen, während die dritte Person über 200 m von den Schneemassen mitgerissen wurde. Der Skitourengeher wurde nur teilweise verschüttet, aber verletzt. Er wurde nach der Erstversorgung zur Kontrolle ins Krankenhaus geflogen. Einen Tag vor dem Unfall hatte es im Ortlergebiet mit der Kaltfront um die 20 cm Neuschnee gegeben. Mit dem starken bis stürmischen Nordwind entstanden am Samstag, dem 09.04.2022 störanfällige Triebschneeansammlungen, die sich bei den tiefen Temperaturen noch nicht verfestigt hatten. Es ist also davon auszugehen, dass die Schwachschicht innerhalb der Neu- und Triebschneeschicht lag. 

Unfalllawine unterhalb des Ortlerbiwaks vom 10.04.2022. (Foto: Olaf Reinstadler, 10.04.2022)
Unfalllawine unterhalb des Ortlerbiwaks vom 10.04.2022. (Foto: Bergerettung Sulden, 10.04.2022) 

Ab Montag sorgte Hochdruckeinfluss für eine deutliche Erwärmung in allen Höhenlagen. Teilweise stiegen die Temperatur innerhalb von 24 h um mehr als 10 Grad an. 

Die Messdaten an der Wetterstation Teufelsegg und Grawand im Schnalstal zeigen deutlich den Wetterverlauf der vergangenen Tage. Das zweite Panel zeigt den markanten Rückgang der Temperatur und des Taupunktes. Deutlich zu erkennen ist auch, dass die Luftmassen trockener wurden (Taupunkt und Lufttemperatur liegen weit auseinander). Während der Wind am Sonntag um die 50 km/h blies, flachte er im Laufe des Montags merklich ab.  Auch stiegen die Temperaturen mit Montag wieder an
Die Messdaten an der Wetterstation Teufelsegg und Grawand im Schnalstal zeigen deutlich den Wetterverlauf der vergangenen Tage. Das zweite Panel zeigt den markanten Rückgang der Temperatur und des Taupunktes. Deutlich zu erkennen ist auch, dass die Luftmassen trockener wurden (Taupunkt und Lufttemperatur liegen weit auseinander). Während der Wind am Sonntag um die 50 km/h blies, flachte er im Laufe des Montags merklich ab.  Auch stiegen die Temperaturen mit Montag wieder an.  

In hohen Lagen und im Hochgebirge bildete sich durch die stark schwankenden Temperaturen stellenweise eine oberflächennahe Schwachschicht im Bereich der Saharastaubschicht aus. Wir gehen davon aus, dass sich diese Schwachschicht aufgrund von Gefahrenmuster „kalt auf warm“ (gm.4) entwickelt hat. Wahrscheinlich konnte sich die Schwachschicht dort am besten ausbilden, wo die Schneeoberfläche vor den Schneefällen von Ende März / Anfang April feucht und glatt war und genügend Neuschnee (Schneebrett) gefallen ist. Dies betrifft vor allem Schattenhänge oberhalb von ca. 2600 m sowie Sonnenhänge oberhalb von etwa 2800 m. Dort, wo die Schneeoberfläche vor den vergangenen Niederschlägen rau und unregelmäßig war, konnte sich keine flächige Schwachschicht ausbilden. Die milden Temperaturen und die starke Strahlung führten zu einer Schwächung der Schneedecke, wodurch sich kurzfristig die Auslösebereitschaft von Schneebrettlawinen erhöht. Dies war vermutlich auch die Ursache für den spontanen Lawinenabgang an der Ostflanke der Weißkugel. 

Spontane Lawine an der Ostflanke der Weißkugel am 12.04.2022 gegen 13:30 Uhr (Foto: foto-webcam.eu)

Blick zur Lawine vom Grat aus Richtung Ablagerung. (Foto: xx?, 12.04.2022)
Blick zur Lawine vom Grat der Weißkugel aus Richtung Ablagerung. (Foto: Günther Prantl, 12.04.2022)

Mit der Erwärmung und der Sonneneinstrahlung erhielt die Schneedecke in den vergangenen Tagen einen weiteren Wärme- und Wassereintrag, der meist nur in den oberflächennahen Schichten zu einem Festigkeitsverlust führte. Feuchte und nasse Rutsche ereigneten sich deshalb vor allem im Neuschnee des vergangenen Wochenendes. Allerdings wurden kaum Expositionen und Höhenlagen durchfeuchtet, die vor dem Schneefall von letzter Woche nicht bereits durchfeuchtet waren. Lawinen waren meist nur klein.
Stellenweise bildet sich in den vergangenen Tagen auch ein Firnspiegel aus:

Firnspiegel unterhalb des Hohen Beils im Pfitschertal. (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 12.04.2022)
Firnspiegel unterhalb des Roten Beils im Pfitschertal. (Foto: Lawinenwarndienst Südtirol, 12.04.2022)

Ausblick

In den kommenden Tagen bleibt der Hochdruckeinfluss bestehen. Nur einige Schleierwolken und Saharastaub trüben die Sicht. Die Temperaturen steigen bis Freitag weiterhin leicht an. Ab Freitag wird es dann wieder föhnig und die Temperaturen gehen in den darauffolgenden Tagen wieder zurück. Die Gefahr von trockenen Lawinen nimmt weiterhin ab. Die Gefahr von Nassschneelawinen unterliegt einem Tagesgang.