Analyse der Lawinenunfälle – Frühjahrsverhältnisse erfordern eine gute Zeiteinteilung

Rückblick auf eine ereignisreiche Woche

Mitte letzter Woche brachte eine Störung den Winter auf den Bergen zurück. In hohen Lagen und in Hochgebirge fielen 15 bis 30 cm, gebietsweise auch bis zu 40 cm Schnee vor allem im Süden. Die Temperaturen sanken deutlich ab. Die Verhältnisse auf den Bergen waren deshalb teils noch tief winterlich. Der Wind blies während des Schneefalls stark aus Südwest und verfrachtete den kalten Neuschnee. Verbreitet bildeten sich weiche Triebschneeansammlungen. Nach dem Schneefall drehte der Wind auf Nord und verfrachtete den Neuschnee abermals. 
Messdaten an der Station Teufelsegg im Schnalstal zeigen den Temperaturrückgang, der zeitgleich mit dem Schneefall eintrat. 
Stellenweise wurde der Triebschnee mit dem Nordwind auf lockerem Neuschnee abgelagert, der kurzfristig zu einer Schwachschicht wurde. Solche Schwachschichten setzten und verfestigen sich bereits nach einigen Tagen wieder. Liegt jedoch unterhalb des Neu- und Triebschnees eine lockere, grobkörnige Schwachschicht bzw. bildet sich eine Schwachschicht, so bleiben die Triebschneeansammlungen über länger Zeit hinweg störanfällig und wir haben es mit einem Altschneeproblem zu tun. 
Beim Ereignis von letzter Woche traf beides zu: schattseitig war die Schneedecke stellenweise noch kalt, kantig aufgebaut und locker, vor allem in Kammnähe sowie an zuvor schneearmen Stellen oberhalb von 2400 m.
Südseitig hingegen war die Schneedecke durch das mehrfache Schmelzen und Wiedergefrieren hart aber relativ warm.  Aufgrund des Temperaturunterschiedes innerhalb der Schneedecke bilden sich  zeitverzögert an der Grenze zwischen Alt- und Neuschnee kantige Kristalle aus (Gefahrenmuster 4: Kalt auf Warm/ Warm auf Kalt). Beides führte dazu, dass die Triebschneeansammlungen störanfällig wurde und für einige Tage auch noch störanfällig bleiben. 
Weicher, dünenartiger Triebschnee, der sich während des Schneefalls gebildet hat. (Foto: Lawinenwarndienst, 16.04.2021)
Seit dem Schneefall wurden uns mehrere Lawinenabgänge gemeldet. 
Unfall: Steinschlagtal – Schnals 14.04.2021
Der Lawinenunfall ereignete sich am ersten Schönwettertag nach dem Schneefall im hinteren Schnalstal. Im oberen Teil einer südexponierten, extrem steilen Rinne auf ca. 2800 m löste sich ein Schneebrett der Größe 2 und riss eine Person rund 400 m in die Tiefe. Der Lokalaugenschein bestätigte, dass sich unterhalb des Triebschnees eine Schicht aus kantigen Kristallen ausgebildet hatte. 
 
Schneeprofil an der Unfallstelle zeigt den Triebschnee oberhalb einer Schicht aus kantigen Kristallen. Darunter ist die Schneedecke extrem hart. Hier geht es zu weiteren Profilen
Die Anbruchmächtigkeit des Schneebrettes variierte zwischen 20 cm und 40 cm. Die Hangneigung im Abbruchgebiet betrug 45° (Quelle: Lawinenwarndienst, 16.04.2021)

Unfall: Schwarzwandspitz – Passeier – 17.04.2021
Aus schneetechnischer Sicht war der Unfall am 17.04.2021 an der Schwarzwandspitze dem Unfall im Schnals sehr ähnlich. An einer extrem steilen südexponierten Rinne unterhalb des 3354 m hohen Gipfels löste sich gegen 11 Uhr ein Schneebrett der Größe 2 und riss zwei Personen mit. Auch hier hat sich unter dem Triebschnee eine Schwachschicht aus kantigen Kristallen gebildet.  
Blick vom Lawinenkegel Richtung Anbruchstelle. (Foto: 17.04.2021)

Die folgenden Lawinenabgänge ereigneten sich dagegen an Nordhängen im Höhenbereich von 2500 bis 2700 m. Ursache war in beiden Fälle die ungünstige Altschneedecke aus stark kantig aufgebautem Schnee, auf dem der Trieb- und Neuschnee abgelagert wurde. 
Unfall: Muntejela de Senes –  Enneberg 18.04.2021
Vier Skitourengeher befanden sich im Aufstieg als sich kurz unter dem Grat westlich der Muntejela de Senes ein Schneebrett löste. Die Lawine riss zwei Personen mit und wurde durch das nach unten hin steiler werdende Gelände 400 m lang, bei einer maximalen Breite von 20-30 m. Hier einige Bilder von der Unfalllawine:

Die Schneedecke im Anbruchgebiet zeigt den frischen Triebschnee, der den kantigen Altschnee überlagert. Hier geht es zum Profil .

Lawinenabgang: Gaiselleite – Prags – 17.04.2021
Einen sehr ähnlichen Schneedeckenaufbau fanden wir im Anbruchgebiet dieser Lawine. Das Schneebrett ging dabei erneut auf dem stark kantig aufgebautem Altschnee ab. 
Schneebrettlawine (Größe 2) an einem extrem steilen nordexponierten Hang auf 2600 m. Im Bild oben der Hang am Tag vor dem Lawinenabgang und unten nach dem Lawinenabgang. (Foto oben: Werner Tinkhauser) 

Das Schneeprofil im Abbruchgebiet der Lawine zeigt die mächtige Schicht aus kantigen Kristallen und Becherkristallen zwischen 90 und 130 cm, diese Schicht stellt die Schwachschicht dar. Darüber der teils windbeeinflusste Schnee der letzten Woche.  

Die Lawinengefahr sollte momentan nicht unterschätzt werden, da auf den Bergen noch zum Teil winterliche Bedingungen herrschen. Wichtig ist nicht nur die Gefahrenstufe zu berücksichtigen, sondern vor allem auch die Lawinenprobleme. Diese in Zusammenhang mit der Gefahrenbeschreibung geben Aufschluss darüber, wo die Gefahrenstellen im Gelände liegen und wie man damit umgeht. 
Vorschau aufs Wochenende
Am Wochenende steigen die Temperaturen zunehmen an. Die Nullgradgrenze klettert jeweils mittags auf 2700 m. Es ist meist sonnig und nur am Nachmittag bilden sich einige harmlose Quellwolken. Am Sonntag sind auch einige hohe Wolken dabei.
Die Gefahr von trockenen Lawinen nimmt nur langsam ab. Vorsicht gilt weiterhin an extrem steilen Schattenhängen sowie in Kammnähe, dort bleibt die Schneedecke störanfällig. 
Durch die warmen Temperaturen und die starke Sonneneinstrahlung wird die Schneedecke im Tagesverlauf zunehmend geschwächt und die Gefahr von nassen Lawinen nimmt deutlich zu. Dies nicht nur an Sonnenhängen, sondern auch an Schattenhängen unterhalb von 2400 m. Touren sollten jedenfalls frühzeitig gestartet und rechtzeitig beendet werden.