Wechselhafte Osterfeiertage / im Süden z.T. heikle Lawinensituation

Das Frühjahr mit vielen seiner Facetten ist spürbar: In großer Höhe ist es v.a. im Süden tief winterlich. Neuschnee und Sturm bildeten und bilden umfangreiche, z.T. recht störanfällige Triebschneepakete. Mit abnehmender Seehöhe wird die Schneedecke speziell während der kommenden Tage tendenziell feuchter bzw. nässer. Wir erwarten zahlreiche Lockerschneelawinen aus extrem steilem Gelände, aber auch wieder einen Anstieg an Gleitschneelawinen auf steilen Wiesenhängen – je nach Durchnässung gehäuft auch in Nordhängen. Lokal (gebietsweise?) dürfte sich das Gefahrenmuster kalt auf warm mit einer oberflächennahen Schwachschicht (seit 23.03.) ausgebildet haben. Aktuell scheint dies in den niederschlagsreicheren Regionen im Süden schattseitig um 2200m bedeutsam zu sein.

Wechselhaftes Wetter

Die vergangene Woche stand im Zeichen sehr wechselhaften Wetters mit NW-W-Wetterlagen und Südstaulagen. In der Höhe wehte meist starker bis stürmischer Wind.

Aprilwetter Ende März: Auflockerungen, Niederschlag, Wind, ein Auf und Ab bei den Temperaturen...
Aprilwetter Ende März: Auflockerungen, Niederschlag, Wind, ein Auf und Ab bei den Temperaturen…
Das Föhndiagramm zeigt eindrucksvoll den großen Luftdruckunterschied zwischen Bozen und Innsbruck. Je größer die Luftdruckdifferenz desto stärker weht der Föhn. Rot: Südföhn / Blau: Nordföhn
Das Föhndiagramm zeigt eindrucksvoll den großen Luftdruckunterschied zwischen Bozen und Innsbruck. Je größer die Luftdruckdifferenz desto stärker weht der Föhn. Rot: Südföhn / Blau: Nordföhn

Markant war u.a. eine markante Kaltfront am 23.03. mit Sturmböen samt einem Temperatursturz und gewitterartigen Niederschlägen.

Eine Kaltfront brachte anfangs Niederschläge vermehrt im Westen des Landes... (72h Neuschneesumme zwischen 22.03. und 24.03.)
Eine Kaltfront brachte anfangs Niederschläge vermehrt im Westen des Landes… (72h Neuschneesumme zwischen 22.03. und 24.03.)
Am 23.03. und 24.03. fiel Schnee bis in tiefe Lagen (Foto: 24.03.2024 © LWD Tirol)
Am 23.03. und 24.03. fiel Schnee bis in tiefe Lagen (Foto: 24.03.2024 © LWD Tirol)
Vom 27.03. auf den 28.03. Neuschnee v.a. in den südlichen Regionen
Vom 27.03. auf den 28.03. Neuschnee v.a. in den südlichen Regionen

Triebschnee in der Höhe kritisch beurteilen

Das Hauptproblem stellt aktuell (am 28.03.2024) frischer und kürzlich entstandener Triebschnee dar. Als Schwachschicht für den Triebschnee beobachtete man letzte Woche vermehrt (z.T. massivere) Graupelschichten. Diese haben sich während der teils schauerartigen Niederschlägen seit Mitte vergangener Woche mehrmals abgelagert.

Graupel als ernst zu nehmende Schwachschicht. Außerfern (Foto: 25.03.2024 © Stefan Zangerl)
Graupel als ernst zu nehmende Schwachschicht. Außerfern (Foto: 25.03.2024 © Stefan Zangerl)
Schneefahnen auf den Bergen als Zeichen umfangreicher Schneeverfrachtungen (Foto: 25.03.2024 © Anton Riepler)

Vom Arlberggebiet wurden uns zwei überraschend großflächige Lawinenabgänge gemeldet. Einmal waren es Lawinenabgänge aufgrund von Sprengungen, einmal ein Lawinenabgang vermutlich aufgrund eines Wechtenbruches. Der primäre Bruch entstand bei den gesprengten Lawinen in der Graupelschicht, sekundär kam es zu einem Bruch in einer tiefer gelegenen kantigen Schicht (auf einer Schmelzharschkruste). Zum Zeitpunkt der Lawinenabgänge war das Brett wohl kurzfristig nach stürmischen Verhältnissen besonders gut ausgebildet.

Lawinenabgänge Schindlergrat: Auslösung durch Sprengungen (Foto: 25.03.2024 © Simon Guem)
Lawinenabgänge Schindlergrat: Auslösung durch Sprengungen (Foto: 25.03.2024 © Simon Guem)
Lawinenabgang Gamskarspitze im Arlberggebiet (Foto: 25.03.2024 © Markus Lorenz)

In der Regel waren jedoch die uns gemeldeten Lawinenabgänge meist klein, vereinzelt mittelgroß, immer kammnah bzw. hinter Geländekanten sowie vermehrt schattseitig. Als kurzfristige Schwachschicht dürfte zusätzlich wohl immer wieder auch überwehter Neuschnee gedient haben.

Kammnahes Schneebrett im Höllensteinkar in den Zillertaler Alpen (Foto: 25.03.2024 © Markus Stadler)
Kammnaher Rutsch im Außerfern (Foto: 25.03.2024 © Marvin Kärle)
Kammnahes Schneebrett in den Zillertaler Alpen (Foto: 23.03.2024 © Alexander Radlherr)

Mögliche Schwachschicht aufgrund des Gefahrenmusters „kalt auf warm“

Wir tappen etwas im Dunklen, jedoch scheint sich schattseitig um 2200m seit 23.03. lokal (ev. auch gebietsweise) eine Schwachschicht aufgrund des Gefahrenmusters kalt auf warm ausgebildet zu haben. Eine Rückmeldung aus dem südlichen Zillertal von heute (28.03.2024) scheint dies zu bestätigen. Die Voraussetzungen dafür sind ja seit dem Temperatursturz am Samstag, 23.03. gegeben: eine anfangs noch feuchte Schneeoberfläche wurde von kaltem Schnee überlagert. Prinzipiell kann dieses Phänomen auch für die südlichen, kürzlich neuschneereichen Regionen in besonnten Hängen (bis etwa 2600m?! hinauf) bedeutsam sein. Wir sind über entsprechende Beobachtungen aus dem Gelände (mit Angabe der Seehöhe, Exposition und nach Möglichkeit auch Testergebnis sehr dankbar!) Entsprechende Rückmeldungen bitte via mail an lawine@tirol.gv.at

Dieses Schneebrett auf 2250m Nord in den südlichen Zillertaler Alpen dürfte auf einer kantigen Schicht oberhalb einer Schmelzharschkruste abgegangen zu sein. (Foto: 28.03.2024 © Stefan Wierer)
Dieses Schneebrett auf 2250m Nord in den südlichen Zillertaler Alpen dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einer kantigen Schicht oberhalb einer Schmelzharschkruste abgegangen sein. (Foto: 28.03.2024 © Stefan Wierer)
Die Voraussetzungen für gm.4 (kalt auf warm) waren gegeben, dort wo der Neuschnee vom 23.03. auf einer feuchten Schneeoberfläche zu liegen gekommen ist. Blau: Bildungszeitraum einer möglichen Schwachschicht,
Die Voraussetzungen für gm.4 (kalt auf warm) waren gegeben, dort wo der Neuschnee vom 23.03. auf einer feuchten Schneeoberfläche zu liegen gekommen ist. Blau: Bildungszeitraum einer möglichen Schwachschicht,

Gleitschnee als latente Gefahr

Letzte Woche wurde die Schneedecke bis zum 23.03. (auch durch Regeneinfluss) weiter durchfeuchtet. Das wirkte sich neuerlich auf die Gleitschneeaktivität aus (die aktuell etwas nachgelassen hat). Dennoch, es bleibt unser gebetsmühlenartiger Ratschlag, sich nach Möglichkeit nicht unterhalb von Rissen in der Schneedecke aufzuhalten.

Die gelben Kreise zeigen in Summe 6 Personen in einem Klettersteig im Nahbereich der Franz-Senn-Hütte. Darüber befindet sich ein Hang mit Rissen und Aufwölbungen in der Schneedecke (Foto: 19.03.2024 © Horst Fankhauser)
Die gelben Kreise zeigen in Summe 6 Personen in einem Klettersteig im Nahbereich der Franz-Senn-Hütte. Darüber befindet sich ein Hang mit Rissen und Aufwölbungen in der Schneedecke (Foto: 19.03.2024 © Horst Fankhauser)
Gelb eingekreist der Bereich des Klettersteiges, der am 23.03.2024 von einer großen Gleitschneelawine überspült wurde. (Foto: © Thomas Fankhauser)

Wie gehts weiter?

Wärmeeintrag und (diffuse) Strahlung werden die Schneedecke zunehmend durchfeuchten. Wir erwarten vermehrt feuchte bzw. nasse Lockerschneelawinen aus extrem steilem Gelände, dies bereits ab morgen, 29.03.2024. Ebenso kann die Gleitschneeaktivität wieder erhöht sein.

In der Höhe bleibt frischer bzw. kürzlich gebildeter Triebschnee das Hauptproblem. Auf den Bergen wird es wieder stürmisch. Von Sonntag auf Montag kommen im Süden z.T. beachtliche Neuschneesummen zusammen. In den südlichen Ötztaler Alpen geht man aktuell von etwa 50cm Neuschnee aus. Die Situation für Wintersportler bleibt deshalb in den südlichen, neuschneereichen Regionen in der Höhe heikel.

Bei z.T. schlechter Sicht wird die Gefahreneinschätzung erschwert sein. Speziell im Süden ist viel Erfahrung, aber auch große Zurückhaltung angebracht, um das Risiko entsprechend zu reduzieren.

Weiter im Norden sind die Verhältnisse vergleichsweise besser. Dennoch: Im Frühjahr können kleine Unterschiede beim Wetter große Änderungen der Lawinengefahr in kurzer Zeit bedingen. Deshalb sind ständige Information, aber auch gute Geländebeobachtung und entsprechend rasche Reaktion auf die Verhältnisse wichtige Grundlagen im freien Gelände.

Das gesamte Team des Lawinenwarndienstes des Landes Tirol wünscht euch allen Frohe Ostern! (Bei neuen Erkenntnissen zur Lawinensituation werden wir uns via neuem Blogeintrag wieder melden).