Angespannte Lawinensituation – in den kommenden Tagen ist Zurückhaltung erforderlich

Seit Dienstagnachmittag, 05.03. hat es auf den Bergen gebietsweise bis zu 80cm geschneit. Der Neuschnee überdeckt eine Altschneedecke, welche v.a. im oberen Teil markante Schwachschichten aufweist. Die Rückmeldungen unserer Beobachter zu spontaner Lawinenaktivität und teils sehr guten Sprengerfolgen bestätigen die angespannte Situation. Und auch in den kommenden Tagen erwarten wir eine weiterhin hohe Störanfälligkeit der Schneedecke. Bei gleichzeitig recht schönem Wetter kündigt sich eine unfallträchtige Situation an. Wir raten in diesen kommenden Tagen zu besonderer Vorsicht und viel Zurückhaltung!

Aktuelle Situation

Unter wenig Windeinfluss und mit fallenden Temperaturen hat es seit gestern Dienstag, 05.03. auf den Bergen Tirols ergiebig geschneit. Die Schneefallgrenze bewegte sich zunächst noch bei rund 1300m, sank dann aber verbreitet unter 1000m. Aufgrund der kalten Temperaturen und wenig Wind fiel der Schnee oft sehr locker, die Dichte des Neuschnees war mitunter sehr gering und gemessene Neuschneehöhen entsprechend hoch.

Am meisten Niederschlag wurde zwischen der Gurgler Gruppe und den Zillertaler Alpen entlang des Alpenhauptkamms sowie am Karnischen Kamm im südlichen Osttirol verzeichnet. Hier wurden 30 bis 50 mm Niederschlag (bis zu 80cm lockerer Neuschnee) gemessen. Aber auch abseits dieser Gebiete fielen ausgenommen der östlichsten Landesteile meist 20 bis 30 mm Niederschlag.
Am Mittwochvormittag, 06.03. erfolgte aufgrund der etwas höher ausgefallenen Niederschlagsmengen sowie ersten Rückmeldungen aus dem Gelände eine Aktualisierung des Lawinenreports. Gebietsweise wurde Gefahrenstufe 4, groß erreicht. Für 07.03. wurden die Regionen mit großer Lawinengefahr auf die Regionen „Zentrale Stubaier Alpen“, „Sellrain – Alpeiner Berge“ und „Kalkkögel“ nach Norden ausgeweitet.
Viel Niederschlag bei nur wenig Wind in der Axamer Lizum. Der rote Pfeil markiert einen Zeitraum, wo die Schneeoberflächentemperatur (graue Linie) unter den Taupunkt (blaue Linie) abgesunken ist. In diesem Zeitraum in der Nacht auf Dienstag, 05.03. konnte sich Oberflächenreif an der Schneeoberfläche bilden, welcher in weiterer Folge eingeschneit wurde.

Im Bereich der alten Schneeoberfläche konnten sich in den vergangenen Tagen Schwachschichten ausbilden, welche nun vom Neuschnee überdeckt wurden. Einerseits ist dies Oberflächenreif, welcher sich in der Nacht auf Dienstag, 05.03. bei oft sternenklarem Himmel, relativ hoher Luftfeuchtigkeit und nur wenig Wind ausbilden konnte. Andererseits konnten wir im Bereich der alten Schneeoberfläche auch weiche Schichten entlang von Schmelzkrusten identifizieren, welche potenzielle Schwachschichten für Schneebrettlawinen darstellen können.

Oberflächenreif stellt eine sehr prominente Schwachschicht dar, wenn er erst einmal eingeschneit wurde und von einem Schneebrett überlagert wird. Er kann mitunter für mehrere Wochen störanfällig bleiben und stellt somit ein potenziell langanhaltendes (=persistentes) Altschneeproblem dar. Hinterer Daunkopf in den Stubaier Alpen, NW, 3100m  (Foto: 05.03.2024, ©Günter Chwojan).
Auch in der Venediger- sowie der Glocknergruppe in Osttirol wurde oberhalb rund 2100m verbreitet Oberflächenreif beobachtet. Hier im Bereich der Blauspite in der Granatspitzgruppe. Besonders gut ausgeprägt war der Oberflächenreif an kammnahen Schattenhängen (Nigg-Effekt), weshalb dort die Schneedecke besonders störanfällig sein dürfte (Foto: 05.03.2024, ©Anton Riepler).
Diese Schneeprofil, welches an einem Nordhang auf rund 2600m in der Lasörlinggruppe in Osttirol aufgenommen wurde, zeigt die oberflächennahen, potenziellen Schwachschichten: Oberflächenreif an der Schneeoberfläche sowie eine weiche Schicht filziger Kristalle zwischen zwei Schmelzharschkrusten. Oberhalb des Oberflächenreifs liegen nun 30-40cm Neuschnee.

Auch im mittleren Teil der Schneedecke befinden sich noch gebietsweise Schwachschichten in Form von kantigen Kristallen an Schmelzharschkrusten, welche vereinzelt zum Abgang von großen Schneebrettlawinen führen können. Denkbar ist dies v.a. durch kleinere Lawinen, welche durch ihren Impuls Brüche tiefer in der Schwachschicht initiieren könnten. Rückmeldungen zeigen, dass dieses Problem derzeit v.a. in den Ötztaler Alpen, an der Grenze zu Südtirol, am stärksten ausgeprägt zu sein scheint.

Schneeprofil an einem Westhang auf rund 2500m in der Glockturmgruppe. Auch hier sind die oberflächennahen Schwachschichten wieder gut zu erkennen. Im mittleren Teil der Schneedecke findet sich eine ausgeprägte Schwachschicht unterhalb der Schmelzkruste von 16.02., welche noch gut angesprochen werden kann.
Künstlich ausgelöste Schneebrettlawine am Gurgler Kamm: hier dürfte die kantige Schwachschicht an der Schmelzharschkruste von Mitte Februar eine maßgebliche Rolle gespielt haben. 2500m, West (Foto: 05.03.2024, ©Hugo Reindl).

Erste Rückmeldungen von heute Mittwoch, 06.03. beschrieben sehr gute Sprengerfolge mit beachtlichen Bruchfortpflanzungen. Dies ist ein deutliches Indiz für das Vorhandensein einer sehr störanfälligen Schwachschicht.

In der Schlick 2000/ Burgstall gesprengte Schneebrettlawine mit sehr guter Bruchausbreitung (Foto: 06.03.2024, ©Domenik Jenewein).

Wie geht es weiter?

Mit dem bevorstehenden Setzungsprozess des Neuschnees, welcher mitunter durch diffuse Strahlung am Donnerstag, 07.03. noch verstärkt werden könnte, wird sich das Schneebrett noch besser ausbilden. Die bestehenden Schwachschichten unter diesem Brett – allen voran der Oberflächenreif – werden in den kommenden Tagen leicht zu stören sein. Auch Fernauslösungen und vereinzelt spontane Schneebrettlawinen sind möglich! Am ungünstigsten schätzen wir derzeit den Sektor West über Nord bis Ost oberhalb rund 2200m in den neuschneereichen Gebieten südlich des Inns ein. Hier sollte man derzeit Steilhänge und Bereiche unterhalb dieser möglichst meiden. Wummgeräusche, Risse oder frische Lawinen sind Alarmzeichen und weisen auf die Gefahr hin!

Zudem sind mit Sonneneinstrahlung auch zahlreiche spontane Lockerschneelawinen bis mittlerer Größe aus extrem steilen Sonnenhängen zu erwarten. Auch nimmt die Gleitschneeaktivität an steilen Grashängen wieder etwas zu.

Zunahme der Gleitschneeaktivität v.a. dort, wo vor den Schneefällen der Boden bereits wieder zur Gänze ausgeapert war, wie hier im Villgratental (Foto: 06.03.2024, ©Harald Riedl).
Mächtiger Gleitschneeriss an einem Südhang auf rund 2200m oberhalb des Steißbachtales am Arlberg. Die Schneedecke ist hier im Schnitt über 3m mächtig, der Riss ist über 70m lang (Foto: 06.03.2024, ©Simon Guem).

Triebschnee ist derzeit noch ein untergeordnetes Problem und nur in Kamm- und Passlagen in großen Höhen ein Thema. Dies wird sich zum Wochenende hin jedoch noch deutlich ändern, da am Freitag Südföhn angekündigt ist.