Gebietsweise große Lawinengefahr mit viel Neuschnee

Mit Neuschnee steigt die Lawinengefahr in ganz Tirol markant an. In Osttirol sowie am östlichen Alpenhauptkamm ist mit am meisten Neuschneezuwachs zu rechnen. Dort wird oberhalb der Waldgrenze Gefahrenstufe 4, groß erreicht. Besonders am Freitag sind spontane mittlere bis große Schneebrettlawinen wahrscheinlich. Für Wintersportlerinnen eine gefährliche Situation, denn Gefahrenstellen sind zahlreich und nicht zu erkennen. Wir raten am Wochenende zu Zurückhaltung und möglichst defensivem Verhalten.

Aktuelle Situation

Wetter

In einer ausgeprägten Südwestströmung werden derzeit feuchte Luftmassen an die Alpensüdseite herangetragen. In Nordtirol hat sich dies heute Donnerstag, 22.02. mit teils stürmischem Südföhn auf den Bergen bemerkbar gemacht. In den südlichen Landesteilen hat es hingegen bereits zu schneien begonnen.

Die Schlechtwetterfront hat sich am Donnerstag, 22.02. in Nordtirol bereits im Wettergeschehen bemerkbar gemacht. Im Bild der Serleskamm mit Föhnmauer (Foto: LWD Tirol, 22.02.2024).

In der Nacht auf Freitag, 23.02. bricht der Föhn ein und die Niederschläge breiten sich auf ganz Tirol aus. Die Schneefallgrenze sinkt dabei rasch bis in tiefe Lagen. Bis Samstagmorgen sind auf den Bergen Osttirols sowie in den Zillertaler Alpen verbreitet 50 bis 70cm Neuschnee prognostiziert, ansonsten fallen südlich des Inns 30 bis 50cm, nördlich davon 15 bis 30cm.

48h- Neuschneesumme. Viel Neuschnee ist v.a. in Osttirol prognostiziert.
Prognostizierte Schneefallgrenze. Oben am Donnerstag um 20:00 Uhr, unten Freitag, 08:00 Uhr. Mit Eintreten des Niederschlags sinkt auch in Nordtirol die Schneefallgrenze rasch in tiefe Lagen.

Der Wind weht in den ersten Stunden des Niederschlags noch mäßig bis stark aus westlichen (im Norden) bzw. südlichen Richtungen (im Süden). Er lässt allerdings während des Niederschlagereignisses deutlich nach.

Meteogramm für die nördlichen Zillertaler Alpen. Die schwarze Linie symbolisiert den Mittelwind, welcher in der ersten Nachthälfte auf Freitag, 23.02. deutlich abnimmt.

Lawinensituation

Umfangreiche Schneedeckenuntersuchungen, welche wir in den vergangenen Tagen auch mit Unterstützung der Flugpolizei durchführen konnten, haben gezeigt, dass besonders im oberen Teil der Schneedecke mögliche Schwachschichten für Schneebrettlawinen anzutreffen sind. Mit den warmen Temperaturen der vergangenen Wochen und Regen bis in hohe Lagen (insb. in der Nacht auf Samstag, 17.02.) haben sich mehrere Schmelzkrusten gebildet, an welchen sich teilweise Schwachschichten in Form von kantigen Kristallen ausgebildet haben. Bisher hat ein darüber liegendes Schneebrett gefehlt, welches sich nun jedoch mit den bevorstehenden Schneefällen entwickeln wird. Es sind vor allem diese Schwachschichten, welche in den neuschneereichen Gebieten zu großen, spontanen Schneebrettlawinen führen können. Da diese Schwachschichten aus kantigen Kristallen bestehen und daher potenziell auch länger ein Problem darstellen könnten, werden diese im Lawinenreport als Altschneeproblem kommuniziert. Wir gehen derzeit davon aus, dass dieses Problem vor allem in den Expositionen West über Nord bis Ost oberhalb von rund 2400 besteht.

An dünnen Schmelzkrusten haben sich nach dem Gefahrenmuster ‚kalt auf warm‘ kantige Kristalle ausbilden können. Diese bilden eine störanfällige Schwachschicht unter dem vielen Neuschnee der nächsten Stunden (Link zum Profil).
Eine mögliche Schwachschicht unterhalb einer Schmelzkruste (Foto: LWD Tirol, 20.02.2024).
Im Bild sind potenzielle Schwachschichten durch das durchscheinende Sonnenlicht gut erkennbar (Foto: Florian Kirchberger, 20.02.2024).

Dort wo es viel schneit, können zudem Schwachschichten innerhalb des Neu- und Triebschneepaketes entstehen, welche besonders während und wenige Tage nach dem Niederschlagereignis störanfällig sein können. Heimtückisch ist in diesem Zusammenhang v.a. auch die oben erwähnte Abnahme des Winds während des Schneefallereignisses. Frische Triebschneepakete werden somit überschneit und sind nicht mehr als solche erkennbar. Ebenfalls wurde mancherorts während des Niederschlags zu Beginn dieser Woche viel Graupel abgelagert, welcher kurzfristig als Schwachschicht fungieren kann.

Viel Graupel an der Schneeoberfläche wurde in der Venedigergruppe beobachtet (Foto: Peter Fuetsch, 21.02.2024).

Zudem steigt mit dem Neuschnee auch wieder die Gefahr von Gleitschneelawinen an steilen Grashängen. Die Erfahrung zeigt, dass die Gleitschneeaktivität meist etwas verzögert nach dem Niederschlag zunimmt, sobald sich die Schneedecke etwas gesetzt hat. Dies wird besonders am Wochenende und potenziell an den Tagen danach ein Thema sein.

Die Gleitschneeaktivität wird besonders in den neuschneereichen Gebieten wieder zunehmen. Im Bild ein eindrückliches Bild hoher Gleitschneeaktivität im Bereich der Rothornspitze in den Allgäuer Alpen. (Foto: Marvin Kärle, 18.02.2024).

In Summe also eine komplexe und für WintersportlerInnen gefährliche Lawinensituation. Während die spontane Aktivität von Schneebrettlawinen mit Ende der Niederschläge etwas abnehmen wird, können Schneebrettlawinen am Wochenende jedoch weiterhin leicht von einzelnen Personen ausgelöst werden. Achtet auch auf Lockerschneelawinen, welche bei Sonneneinstrahlung vermehrt abgehen werden. Wir raten daher in den kommenden Tagen insbesondere in den neuschneereichen Regionen sehr defensiv unterwegs zu sein!

Rückblick

Die vergangene Woche war von wechselhaftem Wetter geprägt. Aus lawinentechnischer Sicht besonders markant war dabei das vergangene Wochenende: Die Kaltfront, welche in den Nachtstunden auf Samstag, 17.02. über Tirol hinweg gezogen ist, hat Regen bis teils über 2500m gebracht. Die Luft war unerwartet feucht und warm und der Wärmeeintrag in die Schneedecke somit markant. Diese in Summe unerwartete Entwicklung hat sich auch in einer Fehlprognose im Lawinenreport widergespiegelt. Besonders am Samstag, aber auch am darauffolgenden Sonntag waren zahlreiche Nass- und Gleitschneelawinen zu beobachten. Am Sonntag, 18.02. kam es dabei auch zu einem Lawinenereignis mit Personenbeteiligung. Im Bereich der Pfundsalm in Hochfügen wurden zwei Personen von einer spontanen, großen Gleitschneelawine erfasst. Sie hatten Glück im Unglück, blieben an der Schneeoberfläche und kamen mit dem Schrecken davon.

Wetterentwicklung der vergangenen Woche an der Wetterstation Seegrube. Warmes, feuchtes Wetter am 17. Und 18.02., gefolgt von einer Abkühlung und etwas Neuschnee in der Nacht auf Dienstag, 20.02. Der Wind hat mit dem Südföhn in den vergangenen Stunden deutlich an Stärke zugenommen.  
Anrissbereich der spontanen Gleitschneelawine im Bereich der Pfundsalm an einem Südosthang auf rund 2100 (Foto: Alpinpolizei, 18.02.2024).
Die zwei Personen im rechten Teil der Lawinenablagerung wurden von der Gleitschneelawine erfasst, kamen aber mit dem Schrecken davon (Foto: Gregor Franke, Bergrettung Tirol, 18.02.2024).
Auch in Osttirol wurden am vergangenen Wochenende mit der Durchfeuchtung zahlreiche spontane, nasse Lockerschnee- und Gleitschneelawinen beobachtet. Lasörlinggruppe (Foto: Mark Kleinlercher, 19.02.2024).

Am Montag, 19.02. gingen die Temperaturen dann etwas zurück und mit einer Kaltfront schneite es in den nördlichen Landesteilen zwischen 10 und 30cm.

Die Kaltfront in der Nacht auf Dienstag, 20.02. brachte besonders im Westen Nordtirols bis zu 30cm Schnee, lokal auch mehr.
Auch im Defereggental kam mit der Kaltfront etwas Neuschnee an und ließ die Berge wieder tief winterlich erscheinen (Foto: LWD Tirol, 20.02.2024).