Gebietsweise große Lawinengefahr – spontane Lawinen sind zu erwarten

Bis zu 150cm Neuschnee und stürmische Verhältnisse führen gebietsweise zu einer kritischen Lawinensituation bei großer Lawinengefahr (Stufe 4). Während hoher Niederschlagsintensität erwarten wir vermehrt spontane Lawinenabgänge. Zahlreiche Gefahrenstellen für WintersportlerInnen. In den Hauptniederschlagsgebieten geht man im freien Gelände ein hohes Lawinenrisiko ein.

Rascher Anstieg der Lawinengefahr

Die Prognosen der Geosphere sind eindeutig: Während der kommenden Tage schneit (und regnet) es in vielen Landesteilen intensiv. Dazu gesellt sich stürmischer, z.T. orkanartiger Wind. Die Schneefallgrenze soll sich während des Niederschlagsereignisses um 1200m einpendeln – mit entsprechenden Abweichungen (aufgrund von Niederschlagsintensität und Windverhältnissen) nach oben und unten. Aktuell (21.12.2023 18:00 Uhr) hat im Westen bereits Niederschlag eingesetzt. Die Regengrenze liegt derzeit meist noch zwischen 1500m und 1800m.

Wetterverschlechterung, Temperaturanstieg, stürmisch, beginnender Schneefall in den Westlichen Lechtaler Alpen

48h – Neuschneeprognose 21.12.2023 01:00 Uhr bis 23.12.2023 01:00 Uhr: Hauptniederschlagsgebiete westlich des Wipptals sowie die Hohen Tauern. (c) Geosphere Austria

Es wird außergewöhnlich stürmisch. (Prognose für 22.12.2023 14:00 Uhr) (c) Geosphere Austria

Prognosen des Niederschlags, des Windes und der Schneefallgrenze für die Region Westliche Verwallgruppe. Markant ist nicht nur die Niederschlagsintensität, sondern auch die rasche Zunahme des Windeinflusses (c) Geosphere Austria
Die Lawinengefahr steigt am 22.12.2023 gebietsweise rasch auf groß oberhalb der Waldgrenze an. Im südlichen Osttirol sind die Lawinenverhältnisse am günstigsten.

Lawinenprobleme

Große Gefahr wird oberhalb der Waldgrenze aufgrund eines ausgeprägten Triebschneeproblems in allen Expositionen, großen zu erwartenden Lawinen und der anzunehmenden anfangs, sehr schlechten Schneedeckenstabilität ausgegeben. Bei einem Triebschneeproblem können Gefahrenbereiche (Sichtverhältnisse vorausgesetzt) prinzipiell erkannt werden.

Unterhalb der Waldgrenze in den schneebeeinflussten Bereichen dominiert hingegen ein Neuschneeproblem (mögliche Schwachschichten befinden sich im Neuschneepaket, Gefahrenbereiche sind nicht zu erkennen.)

Zudem bleibt ein ausgeprägtes Gleitschneeproblem unterhalb etwa 2400m bestehen bzw. verschärft sich dieses etwas.

Schneedeckenanalyse als Basis für Lawinenszenarien

Wie schon während der vergangenen Blogeinträge immer wieder erwähnt, haben wir es in der Höhe vielerorts mit einer für die Jahreszeit überdurchschnittlich mächtigen Schneedecke zu tun. Häufig ist diese recht kompakt. Schwachschichten innerhalb der Altschneedecke sind somit nicht so verbreitet. Dies ist prinzipiell eine recht gute Voraussetzung für die zu erwartenden, sehr intensiven Niederschläge. Unser Hauptaugenmerk richten wir deshalb auf den Nahbereich der aktuell vorhandenen Schneeoberfläche bzw. dortigen, möglichen Schwachschichten:

In bisher windberuhigten Gebieten v.a. im Nordsektor besteht die Schneeoberfläche noch aus lockeren Neuschneekristallen bzw. filzigen und leicht kantigen Formen.

Der Pfeil zeigt auf lockeren Pulverschnee als mögliche Schwachschicht für darüber abgelagerten Schnee. Der Pulver wird wohl vom Sturm massiv bearbeitet bzw. verfrachtet werden. Somit findet man demnächst so eine Schneeoberfläche wohl nur mehr in windberuhigten, leeseitigen Karen und ähnlichen Geländepartien.

In besonnten Steilhängen hat sich während der vergangenen Tage aufgrund der hohen Temperaturen und der Sonneneinstrahlung an der Schneeoberfläche eine dünne Schmelzharschkruste entwickelt. In einem Höhenbereich oberhalb etwa 2400m (bis etwa 2800m) konnten sich unmittelbar darunter mitunter aufbauend umgewandelte Kristalle bilden.

Schneeprofil, welches exemplarisch das Grundprinzip einer möglichen Schwachschicht aufzeigt. Hier handelt es sich um ein Profil auf 1650m mit einer Kruste an der Schneeoberfläche und einer weichen filzigen Schicht darunter. Oberhalb etwa 2400m wurden mancherorts unterhalb der Kruste kantige Kristalle beobachtet, die sich während der vergangenen sternenklaren Nächte gebildet haben. Hauptbetroffen davon werden wohl der Sektor West und Ost sein.

Im unteren Teil der Schneedecke findet man zum Teil eine Abfolge von Krusten und etwas weicheren Schichten. Schneedeckenuntersuchungen zeigen dort nur mehr ganz vereinzelt Brüche bzw. mögliche Schwachschichten. Wir gehen davon aus, dass ein Bruch in diesem Bereich am ehesten in den südwestlichen Regionen Nordtirols möglich ist (Samnaungruppe, Kaunergrat, Glockturmgruppe, Weißkugelgruppe, Gurgler Gruppe).

Bei diesem Profil in der Schlick (Kalkkögel) konnte an der Basis kein Bruch erzeugt werden. Man erkennt jedoch die Abfolge von Krusten und weicheren (oftmals jedoch bereits recht gut verkrusteten) Schichten.

Lawinenabgang Weißseejoch Richtung Krummgampental; Nord, 2580m. Die Lawine löste sich bei der Abfahrt von WintersportlerInnen und brach in einer bodennahen Schwachschicht – der einzig uns bekannte Lawinenabgang in einer bodennahen Schwachschicht der vergangenen, sehr schönen Wetterperiode bei einem hohen Befahrungsgrad im freien Gelände – auch ein Indiz für die nur mehr vereinzelten Störanfälligkeit (Foto: Alpinpolizei, 17.12.2023).

Aufgrund des bereits oftmals ergiebigen Regens in die Schneedecke, aber auch aufgrund des frühen Einschneiens ist die Schneedecke am Boden zumindest bis in mittlere Lagen hinauf häufig feucht bzw. nass. Bei einer in diesen Höhenlagen kompakten Schneedecke gibt es weiterhin gute Voraussetzungen für das Abgleiten des Schnees auf steilen, glatten Flächen, wie z.B. auf Wiesenhängen oder Felsplatten. Die Gleitschneeaktivität wird durch den prognostizierten Regeneintrag, aber auch durch die zusätzliche Schneeauflast erhöht.

Der Pfeil zeigt auf die Grenzfläche Schnee / Boden. Die Schneedecke misst dort 0°C

Hohe Gleitschneeaktivität in den schneereichen Regionen Tirols, wie hier auf der Nordkette oberhalb von Innsbruck (Ellipsen). Die Pfeile zeigen zudem auf die am vergangenen Wochenende kurzfristig erhöhte Aktivität von Lockerschneelawinen im besonnten, extrem steilen Gelände hin. (Foto: LWD Tirol, 18.12.2023)
Eine der Grundvoraussetzungen für das Abgleiten von Schnee auf glatten, steilen Flächen ist eine feuchte, bzw. nasse Schneedecke an der Basis, wie hier am Foto in der Schlick (Kalkkögel) erkennbar. (Foto: LWD Tirol, 19.12.2023)

Hohes Lawinenrisiko im freien Gelände

Während der kommenden Tage geht man als WintersportlerIn im freien Gelände in den niederschlagsreichen Regionen ein hohes Lawinenrisiko ein. Deshalb raten wir, Abstand von steilen Hängen zu halten und sich über mögliche Auslauflängen von Lawinen sehr gründlich Gedanken zu machen.

Ausblick

Die kritische Lawinensituation dauert voraussichtlich bis Sonntag, 24.12.2023. Danach gehen wir von einer fortschreitenden Besserung aus.