An der nach Norden exponierten Gipfelflanke der Weißen Wand (2518m) in Hintertux löste eine WintersportlerIn am Samstag, 21.12 eine mittelgroße Schneebrettlawine im schwachen Altschnee aus. Verletzt wurde niemand. (©Florian Wechselberger, 21.12.2024).

Heikle Lawinensituation während der Weihnachtsfeiertage

Vieles spricht derzeit dafür, dass die Schneedecke während der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage störanfällig bleibt.

In den neuschneereichen Gebieten können Lawinen v.a. im Neu- und Triebschneepaket ausgelöst werden. Inneralpin lagern frische, teils umfangreiche Triebschneepakete auf ausgeprägten, persistenten (lang anhaltenden) Schwachschichten in der Altschneedecke. Lawinen können leicht von einzelnen Wintersportlern ausgelöst werden und groß werden. Setzungsgeräusche können auf die Gefahr hinweisen, Fernauslösungen sind möglich. Die Gefahrenbereiche sind nicht zu erkennen – die Situation fordert viel Zurückhaltung.

Hochdruckwetter trifft auf störanfällige Schneedecke

Ab Mittwoch setzt sich vom Westen her Hochdruckwetter durch. Ferienzeit, frisch verschneite Berge und strahlend blaues Winterwetter. Dazu kommt, dass in weiten Teilen Tirols überhaupt erstmals in dieser Saison genügend Schnee für Touren und Variantenabfahrten liegt. Das lockt – zu Recht – viele WintersportlerInnen auf die Berge.   

Es gibt jedoch einen Party-Crasher: die Schneedecke. Diese ist gezeichnet vom vielerorts zaghaften, niederschlagsarmen Winterstart. Es hat auf den Bergen zwar immer wieder etwas geschneit, aber meist nur unergiebig. Mitunter hat es auch weit hinauf geregnet, insbesondere am 16.12., dies vermehrt in den östlichen Landesteilen Nordtirols. Während niederschlagsfreier Zeiten war es oft kalt und schön: Dadurch hat sich die Schneedecke in allen Hangrichtungen, vermehrt jedoch an Schattenhängen aufbauend umgewandelt. An Sonnenhängen wiederum bildeten sich dünne Schmelzkrusten oberhalb möglicher Schwachschichten aus. Auch wissen wir von gebietsweise eingeschneitem Oberflächenreif, der sich Mitte Dezember gebildet hat. Vermehrt war dies im Bereich der damals vorhandenen Nebelobergrenze der Fall. In Summe ist die Altschneedecke also für die Jahreszeit bereits sehr komplex aufgebaut. Jedenfalls ist diese schwach, mit mehreren möglichen persistenten, also über längere Zeit anhaltenden Schwachschichten.

Auch Graupel vom vergangenen Donnerstag, 19.12. kommt als mögliche Schwachschicht in Betracht. Gebietsweise lagert dieser direkt oberhalb der Schmelzkruste von der Warmfront von vergangenem Montag, 16.12. (©Rainer Prinz, 23.12.2024).
Auch Graupel vom vergangenen Donnerstag, 19.12. kommt als mögliche Schwachschicht in Betracht. Gebietsweise lagert dieser direkt oberhalb der Schmelzkruste von der Warmfront von vergangenem Montag, 16.12. Profil beim Schartenkogel in den Westlichen Tuxer Alpen auf 2170m, Nordwest, 30°. (©Rainer Prinz, 23.12.2024).
Ein komplexer Schneedeckenaufbau: Die Schneeoberfläche vom 23.12. wurde inzwischen nochmals überschneit. Mögliche Schwachschichten findet man oberflächennah in Form von Oberflächenreif und lockerem Pulverschnee (samt filzigen Kristallen). Verantwortlich für großflächigere Bruchausbreitungen erscheint insbesondere eine kantige Schicht unterhalb einer an diesem Standort ausgeprägten Eislamelle. Ein Durchreißen bis zum Boden erscheint (an anderen Standorten) zudem möglich.
Ein komplexer Schneedeckenaufbau: Die Schneeoberfläche vom 23.12. wurde inzwischen nochmals überschneit. Mögliche Schwachschichten findet man bei diesem Profil oberflächennah in Form von Oberflächenreif sowie lockerem Pulverschnee (samt filzigen Kristallen). Verantwortlich für großflächigere Bruchausbreitungen erscheint insbesondere eine kantige Schicht unterhalb einer an diesem Standort ausgeprägten Eislamelle. Ein Durchreißen bis zum Boden erscheint (an anderen Standorten) zudem möglich.
An der nach Norden exponierten Gipfelflanke der Weißen Wand (2518m) in Hintertux löste eine WintersportlerIn am Samstag, 21.12 eine mittelgroße Schneebrettlawine im schwachen Altschnee aus. Verletzt wurde niemand. (©Florian Wechselberger, 21.12.2024).
An der nach Norden exponierten Gipfelflanke der Weißen Wand (2518m) in Hintertux löste eine WintersportlerIn am Samstag, 21.12 eine mittelgroße Schneebrettlawine im schwachen Altschnee aus. Verletzt wurde niemand. (©Florian Wechselberger, 21.12.2024).
Von Personen fernausgelöstes, mittelgroßes Schneebrett an einem SO- Hang auf 2700m am Breitlehner in Sölden. Auch hier erfolgte die Auslösung im bodennahen, schwachen Altschneefundament (©Tobias Holzknecht, 21.12.2024).
Von Personen fernausgelöstes, mittelgroßes Schneebrett an einem SO- Hang auf 2700m am Breitlehner in Sölden. Auch hier erfolgte die Auslösung im bodennahen, schwachen Altschneefundament (©Tobias Holzknecht, 21.12.2024).
Guter Sprengerfolg unterhalb der Jöchelspitze (2226m) in den Allgäuer Alpen. Auch hier lässt die Charakteristik der Auslösungen auf eine Schwachschicht aus kantigen Kristallen oder Oberflächenreif von Mitte Dezember schließen (©Thomas Lutz, 23.12.2024).
Guter Sprengerfolg unterhalb der Jöchelspitze (2226m) in den Allgäuer Alpen. Auch hier lässt die Charakteristik der Auslösungen auf eine Schwachschicht aus kantigen Kristallen oder Oberflächenreif von Mitte Dezember schließen (©Thomas Lutz, 23.12.2024).

Das Altschneeproblem im Detail

Wir wissen: Persistente, störanfällige Schwachschichten (kantige Kristalle, Oberflächenreif, Schwimmschnee) in der Schneedecke sind eine der beiden Zutaten für ein Altschneeproblem. Wir gehen derzeit davon aus, dass diese an Schattenhängen beginnend von etwa 2000m, vermehrt dann oberhalb etwa 2200m, an Sonnenhängen beginnend von etwa 2200m, vermehrt dann oberhalb etwa 2400m anzutreffen sind. In den Nordwest- und Nordstaulagen – also von der Verwallgruppe über die Lechtaler und Allgäuer Alpen bis hin zum Karwendel – haben Beobachtungen gezeigt, dass die Schneedecke (aufgrund größerer Niederschläge Mitte November) tendenziell etwas besser verfestigt erscheint. Inneralpin – also gegen Süden Richtung Alpenhauptkamm sowie in den Hohen Tauern – ist der Schneedeckenaufbau deutlich schwächer.

Die zweite Zutat ist das darüber liegende Schneebrett. Das hat bis am Freitag, den 21.12. vielfach noch gefehlt. Mit den Schneefällen samt starkem Wind in den letzten Tagen hat sich dies aber geändert. Am meisten geschneit hat es neuerlich im Norden und Westen. Also dort, wo die Altschneedecke tendenziell besser scheint. Hier denken wir, dass sich Neu- und Triebschnee an den nächsten Tagen bei zunehmend milden Temperaturen allmählich setzen und verfestigen wird. Schwachschichten im Altschnee dürften dann weniger häufig auszulösen sein. Südlich vom Inn hat es weniger geschneit, aber dennoch genug, so dass sich nun über den Schwachschichten (v.a. an Triebschneehängen) ein gut ausgebildetes Brett befindet. Mit der Setzung der Schneedecke bei zunehmend milden Temperaturen werden sich die Bretteigenschaften nochmals verbessern.

Niederschlagsmengen in Millimeter der vergangenen 72h (24.12.2024, 07:00 Uhr): Im Norden und Westen fielen verbreitet 40 bis 70mm, im Süden und Osten 20 bis 40mm. Bis Dienstagabend kommen verbreitet noch rund 5-10mm hinzu (©GeoSphere).
Niederschlagsmengen in Millimeter der vergangenen 72h (24.12.2024, 07:00 Uhr): Im Norden und Westen fielen verbreitet 40 bis 70mm, im Süden und Osten 20 bis 40mm. Bis Dienstagabend kommen verbreitet noch rund 5-10mm hinzu (©GeoSphere).
Auch interessant der Vergleich von Prognose und Analyse (48h; 24.12.2024, 07:00 Uhr): Die Niederschlagsmengen blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück.
Auch interessant der Vergleich von Prognose und Analyse (48h; 24.12.2024, 07:00 Uhr): Die Niederschlagsmengen blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück (©GeoSphere).
Niederschlagsverteilung der vergangenen 72h anhand der hydrographischen Wetterstationen (Ausgangszeitpunkt: 24.12. 10:00 Uhr)
Niederschlagsverteilung der vergangenen 72h anhand der hydrographischen Wetterstationen (Ausgangszeitpunkt: 24.12. 10:00 Uhr)
Messdaten der Wetterstation Jöchelspitze in den Allgäuer Alpen - eine der niederschlagsreichsten Standorte Tirols. Viel Neuschnee, kalte Temperaturen und sukzessive Abnahme der Windgeschwindigkeit versprechen lockeren Pulver an der Schneeoberfläche. Gefahrenstellen sind damit aber überschneit und nur schwer erkennbar.
Messdaten der Wetterstation Jöchelspitze in den Allgäuer Alpen – eine der niederschlagsreichsten Standorte Tirols. Viel Neuschnee, kalte Temperaturen und sukzessive Abnahme der Windgeschwindigkeit versprechen lockeren Pulver an der Schneeoberfläche. Gefahrenstellen sind damit aber überschneit und nur schwer erkennbar.
Vergleichsstation Goldried in der Glocknergruppe: Deutlich weniger Neuschnee, dafür meist stürmischer Nordwind. Oder: Wie es heute am 24.12. einer unserer Osttiroler Beobachter beschrieben hat: "Das Christkind hat den Turbo gezündet!"
Vergleichsstation Goldried in der Glocknergruppe: Deutlich weniger Neuschnee, dafür meist stürmischer Nordwind. Oder: Wie es heute am 24.12. einer unserer Osttiroler Beobachter beschrieben hat: „Das Christkind hat den Turbo gezündet!“

Lawinengefahr und Risiko

Die angespannte Lawinensituation wird uns während der Weihnachtsfeiertage begleiten. Kammnah bilden sich mit Wind aus östlichen Richtungen frische Triebschneepakete. Vor allem aber ist das Altschneeproblem kritisch. Die Situation erfordert in den kommenden Tagen Zurückhaltung und einen kühlen Kopf. Zumindest an den ersten schönen Tagen raten wir dazu, sehr konservativ unterwegs zu sein, bis sich das Bild der Gefahrensituation schärft. Komplexes Lawinengelände mit Geländefallen bzw. große Steilhänge bergen ein hohes Risiko.

Zudem sind mit der Sonneneinstrahlung zahlreiche kleine bis mittelgroße spontane Lockerschneelawinen aus extrem steilen Sonnenhängen zu erwarten. Und auch Gleitschneelawinen werden an steilen Grashängen zusehends wieder ein Thema. Bereiche unterhalb von Gleitschneerissen sollten gemieden werden.

Auch die Gleitschneeaktivität nimmt wieder zu. Besonders in den schneereichen Regionen, wie hier am Arlberg sind spontane mittelgroße Gleitschneelawinen an steilen Grashängen möglich (©Mark Kleinlercher, 23.12.2024).
Auch die Gleitschneeaktivität nimmt wieder zu. Besonders in den schneereichen Regionen, wie hier am Arlberg sind spontane mittelgroße Gleitschneelawinen an steilen Grashängen möglich (©Mark Kleinlercher, 23.12.2024).

In Osttirol liegt derzeit leider noch sehr wenig Schnee. Skitouren sind hier derzeit nur sehr eingeschränkt möglich.

Vom Alpenhauptkamm in Richtung Süden nimmt die Schneehöhe sehr schnell deutlich ab. Der stürmische Wind hat den Schnee in windabgewandten Mulden und Rinnen abgelagert. Kendlspitze, Granatspitzgruppe (©Toni Riepler, 23.12.2024).
Vom Alpenhauptkamm in Richtung Süden nimmt die Schneehöhe sehr schnell deutlich ab. Der stürmische Wind hat den Schnee in windabgewandten Mulden und Rinnen abgelagert. Kendlspitze, Granatspitzgruppe (©Toni Riepler, 23.12.2024).

Das Team vom Lawinenwarndienst des Landes Tirol wünscht feine Feiertage mit Familie und Freunden.

Wir melden uns am Donnerstag, den 26.12. mit einem Update zur Lawinensituation.