Turbulentes Wetter und komplexe Lawinensituation

Viel Neuschnee begleitet von starkem Westwind hat seit gestern Sonntag, 10.12. neuerlich zu einem markanten Anstieg der Lawinengefahr geführt. Oberhalb von etwa 2200m haben sich umfangreiche und störanfällige Triebschneeansammlungen gebildet. Besonders in den Hauptniederschlagsgebieten sind diese oft überschneit und nicht als solche erkennbar. An steilen Grashängen hat mit der Schneeauflast – in tiefen und mittleren Lagen durch Regeneintrag – auch die Gleitschneeaktivität wieder zugenommen. In den kommenden Tagen bleibt uns das wechselhafte Wetter mit neuerlichen Niederschlägen erhalten – die Lawinengefahr bleibt komplex.

Rückblick und aktuelle Situation

Mit einer straffen westlichen Strömung wurden in den vergangenen Tagen feucht- milde Luftmassen an die Alpen herangeführt. Vor allem im Westen und Norden Nordtirols kam es zu ergiebigen Niederschlägen. Der Wind blies stark, die Schneefallgrenze stieg heute Montag, 11.12. nach Rückmeldungen unserer BeobachterInnen recht verbreitet auf etwa 1800m bis 2200m.

Abb. 1: 48h- Niederschlag in Millimeter. Vor allem in der Verwallgruppe, den Lechtaler- und Allgäuer Alpen wurden große Niederschlagsmengen verzeichnet. Diese fielen oberhalb etwa 2000m in Form von Schnee (©HydroOnline).
Abb. 2: Nach einem kurzen Schönwetterfenster am Samstag, 09.12. erreichte uns die erste Kaltfront in der Nacht auf Sonntag, 10.12. Die Lufttemperatur ging zurück, stark bis stürmischer Westwind setzte ein. Nach erneut kurzzeitiger Wetterbesserung folgte in der Nacht auf heute Montag, 11.12. eine Warmfront und ein neuerlicher Anstieg der Temperaturen.

Die Kaltfront in der Nacht auf Sonntag, 10.12. wurde von starkem Westwind begleitet. Es bildeten sich frische Triebschneeansammlungen, welche sehr leicht ausgelöst werden konnten. Aufgrund der Rückmeldungen am frühen Sonntagmorgen entschieden wir uns aufgrund der Anzahl und Störanfälligkeit der Triebschneepakete für eine Aktualisierung unseres Lawinenreports und eine Einschätzung der Situation mit Gefahrenstufe 3, Erheblich oberhalb 2200m.

Zahlreiche weitere Rückmeldungen über personenausgelöste Lawinen und Sprengerfolge in Skigebieten bestätigten letztendlich diese Einschätzung. Die teilweise sehr gute Bruchfortpflanzung (Fernauslösungen) ließen neben einem guten Brett (in Form von Triebschnee) auch auf eine sehr ausgeprägte Schwachschicht schließen. Wir vermuten, dass kalter Neuschnee oder aber Oberflächenreif (beides wurde uns stellenweise rückgemeldet) hier kurzzeitig als Schwachschicht fungierten.

Abb. 3: Mit der Wetterbesserung am frühen Sonntagmorgen, 10.12. waren die frischen Triebschneeansammlungen oft gut zu erkennen. Hochtennspitze (2549m) in den Stubaier Alpen (©Janine Tschanhenz, 10.12.2023).
Abb. 4: Der frische Triebschnee wurde vermutlich stellenweise auf Oberflächenreif oder sehr lockerem, kalten Pulverschnee abgelagert und war dort sehr störanfällig. Diese Schneebrettlawine an einem Osthang auf rund 2500m am Pirchkogel (Sellrain) wurde von Wintersportlern fernausgelöst (©Paul Pontiller, 10.12.2023).
Abb. 5: Personenausgelöste, kleine Schneebrettlawine kurz unterhalb der Ragötzlenke (2492m) im Defereggental (©Thomas Tschurtschenthaler, 10.12.2023).
Abb. 6: Durch Sprengung ausgelöstes Triebschneepaket am Sennjoch im Skigebiet Schlick 2000 (©Dominik Jenewein, 10.12.2023).
Abb. 7: Der Wind blies am Sonntag, 10.12. auch tagsüber (und dann besonders auch in Osttirol) noch kräftig – und sorgte laut unseres Beobachters aus dem Defereggental zur „Zerstörung des letzten bissl Pulvers“ der noch zu finden war (©Mark Kleinlercher, 10.12.2023).

Nach kurzzeitig besserem aber recht windigem Wetter am Sonntag erreichte uns in der Nacht auf Montag, 11.12. eine Warmfront mit ergiebigen Neuschneemengen und weiterhin starkem Westwind. Aufgrund der großen Neuschneemengen, dem Wind, dem Anstieg der Schneefallgrenze sowie den Rückmeldungen vom Sonntag wurde im Grenzgebiet zu Vorarlberg die Gefahrenstufe 4, Groß erreicht. Unterhalb 2400m kam es zudem zu einem Anstieg der Gleitschneeaktivität aufgrund der großen Niederschlagsmengen, welche einerseits eine Auflast auf die Schneedecke darstellen und somit den Gleitprozess verstärken. Unterhalb etwa 2000m wurde neben der Auflast auch noch flüssiges Wasser an die Grenzfläche zwischen Schneedecke und Boden transportiert, welches ebenfalls den Gleitprozess verstärkt. Zudem kam es aus steilen Böschungen in tiefen und mittleren Lagen zu meist kleinen, nassen Lockerschneelawinen.

Abb. 8: Spontane Gleitschneelawine auf ca. 2000m unterhalb der Aperiesspitze (2588m) oberhalb von Pettneu (©Markus Lorenz, 11.12.2023).

Weitere Entwicklung

Wetter

Das Wetter bleibt auch die restliche Woche sehr unbeständig. Morgen Dienstag, 12.12. bleibt es nass und mild. Es fallen verbreitet wenige Zentimeter Neuschnee, die Schneefallgrenze liegt erneut bei etwa 2000m, der Wind lässt etwas nach. In den darauffolgenden Tagen kommt es sukzessive zu einem Rückgang der Temperaturen. Am Mittwoch schneit es erstmals nach längerer Zeit auch in Osttirol wieder verbreitet.

Abb. 9: Temperaturverlauf der großräumigen Luftmasse in den kommenden Tagen: es wird zumindest bis zum Wochenende hin wieder winterlicher (©Oberlandwetter).
Abb. 10: Prognostizierte 24h- Neuschneesumme (inkl. Setzung) für morgen Dienstag, 12.12. (oben) und Mittwoch, 13.12. (unten). Endlich auch wieder Neuschnee in Osttirol!
Abb. 11: Prognostizierte, akkumulierte Neuschneesumme mit Setzung in der Venedigergruppe für die nächsten zwei Wochen. Die blauen Balken symbolisieren die assoziierten Unsicherheiten.

Lawinensituation

Die Lawinensituation bleibt also komplex. In der Höhe werden wir es weiterhin mit Trieb- und Neuschneeproblemen zu tu haben. Diese beziehen sich auf oberflächennahe Schwachschichten in Form von Neuschnee, welcher von Triebschnee überdeckt ist. Erwarten wir, dass Triebschneepakete sichtbar sind und entsprechend umgangen werden können, kommunizieren wir das Triebschneeproblem. Sind wir hingegen der Meinung (wie derzeit im Westen Nordtirols), dass die Gefahrenstellen teils überschneit und schwer zu erkennen sind, wird das Neuschneeproblem vorherrschend.

Im mittleren bzw. unteren Teil der Schneedecke haben wir es immer noch mit einem Altschneeproblem in Form von kantigen Kristallen entlang von Schmelzkrusten (Regen Mitte November) zu tun. Dies v.a. oberhalb 2200m. Diese Schwachschichten sind kaum mehr von Wintersportlern anzusprechen – am ehesten noch an Übergängen von wenig zu viel Schnee. Allerdings ist es denkbar, dass ein ausgelöstes Triebschneebrett im sehr steilen Gelände einen Bruch in diesen Schichten erzeugen könnte. Zumindest in den neuschneereichen Gebieten wird diese Schwachschicht nach Ende dieser turbulenten Wetterphase aber kaum mehr eine Rolle spielen.

Auf glatten Wiesenhängen sind weiterhin Gleitschneelawinen zu erwarten. Diese können besonders in den Hauptniederschlagsgebieten gefährlich groß werden. Bereiche unterhalb von Gleitschneerissen sollten derzeit konsequent gemieden werden!